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14.12.2022 Demokratie und Frieden

Welche Kriege der letzten Jahrzehnte, um nur die jüngere Zeit ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu betrachten, waren Verteidigungskriege? Aus wessen Sicht? Korea, Vietnam, Afghanistan, Jugoslawien, Irak, Libyen, Ukraine … um nur einige zu nennen, sind Länder, in denen Krieg geführt wurde, die also in der Verteidigungsposition waren. Angreifer waren die USA und deren westliche Verbündete, die Sowjetunion und zuletzt Russland. In jedem einzelnen Fall haben die Invasoren Gründe dafür genannt, dass sie selbst die Verteidiger seien von etwas oder von jemand. Je nach politischer Weltanschauung haben die einen oder die anderen Menschen hierzulande dafür Verständnis gezeigt.

Aber wie können Kriege außerhalb des eigenen Landes Verteidigungskriege sein? Welches der oben genannten Länder stand im Begriff, die Invasoren anzugreifen? Die einmarschierenden oder bombardierenden Länder waren (mit Ausnahme der Sowjetunion) solche, die sich als Demokratien verstehen. Sollte in Demokratien über so etwas wichtiges wie Kriegsführung in einem anderen Land nicht das Volk abstimmen? Und zwar direkt und konkret zu der Frage, ob Vietnam, Jugoslawien etc. bombardiert werden sollen? Abgesehen davon, dass solche Aktivitäten sowieso inakzeptabel sind: welches Volk würde bei einer freien und geheimen Abstimmung dazu mehrheitlich Ja sagen?

Solche Abstimmungen wären ein Prüfstein für demokratische Verhältnisse, denn was könnte die öffentlichen Angelegenheiten mehr betreffen als die die Frage von Krieg oder Frieden? Gerne führen manche Zeitgenossen die Verführbarkeit und Aggressivität des Volkes gegen ein solches Plebiszit an. Schließlich habe Goebbels lauten Jubel geerntet als er fragte „Wollt ihr den totalen Krieg!?“ Aber wer ist da gefragt worden? Nicht das Volk in geheimer Wahl, sondern ein paar tausend handverlesene Parteigänger, die im Berliner Sportpalast Platz gefunden hatten.

Ich bezweifle, dass selbst in den USA bei freier, gleicher und geheimer Wahl eine Mehrheit für Angriffe in Korea oder Vietnam gestimmt hätte. Ich bezweifle, dass im Donbas die bewaffnete Separation abtrünniger ukrainischer Militärs von einer frei, gleich und geheim befragten Bevölkerung mehrheitlich unterstützt worden wäre. Und so weiter.

Ob unsere Waffen außerhalb der eigenen Landesgrenzen „sprechen“ dürfen, gehört – außer in eng zu definierenden Notwehrsituationen mit dringenden Einsätzen gegen unmittelbar bevorstehenden Angriff – dem Volk zur Entscheidung vorgelegt. Die Welt wäre wesentlich friedlicher, jede Wette, wenn alle Länder das so regeln würden. Aber die bisherigen Entscheidungsträger für Kriegseinsätze im Ausland, also unsere gewählten Volksvertreter, werden solche Abstimmungen absehbar kaum einführen; vielmehr sind sie seit Jahren zunehmend damit beschäftigt, ihrem Volk den Krieg als legitimes Mittel der Politik wieder schmackhaft zu machen. Kritische Stimmen werden zur Zeit nur dann öffentlich goutiert, wenn sie die Auslieferung von Panzern in Kriegsgebiete als zu zögerlich (!) brandmarken. Deshalb haben Demokraten in Zukunft eine wichtige Aufgabe, nämlich diesen Prüfstein für Demokratie entgegen der anschwellenden Kriegsbereitschaft institutionell zu etablieren: Militärische Einsätze im Ausland nur nach einer Volksabstimmung, bei der mehr als 50 % der Wahlberechtigen Ja sagen müssen!

11.11.2022 Konkret statt abstrakt

In jüngeren Jahren orientieren sich viele Menschen gerne an abstrakten Begriffen, wenn sie die Welt verbessern wollen. Wörter wie Nationalstolz oder Sozialismus, Liberalismus oder Klimaneutralität, etc. oder in abstraktester Form links oder rechts, plakatieren zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Ländern verschiedene Leitthemen oder weltanschauliche Richtungen, die das politische Denken vieler Menschen prägen. Solange die Menschen, die ihre Handlungsprioritäten aus solchen Zielsetzungen ableiten, miteinander sprechen und Kompromisse zu anstehenden Aufgaben entwickeln, ist das ein gesunder demokratischer Prozess. Sobald aber ein solches Leitthema das alles bestimmende sein soll, gilt der G.F.W. Hegel zugeschriebene Spruch: „Wer Abstraktionen gegen die Wirklichkeit geltend macht, zerstört diese.“ Dieser Satz ist zwar auch dann wahr, wenn konkurrierende Abstraktionen gegen die Wirklichkeit antreten; aber sofern daraus Kompromisse entstehen, schafft sich die Wirklichkeit dann doch einen gewissen Einspruch.

Diese Beobachtung lässt sich noch etwas weiterführen: Menschen, die allmählich das Stadium der Altersweisheit erreichen, haben zunehmend Probleme mit Abstraktionen als Handlungsleitlinien. Sie sehen den Sinn der Weltverbesserung eher in den konkreten Handlungen, die sich tatsächlich durchführen lassen – wohl wissend, dass damit nicht so viel auf einmal erreicht wird, wie man sich das als junger Mensch von einer abstrakt plakatierten radikalen Umwälzung erhofft hatte. Denn mit wachsender Lebenserfahrung wird dem Menschen nicht nur das Gewicht menschlicher Kulturen im Detail bewusster, sondern auch die vielen abstrakten Zielsetzungen innewohnende Gewalttätigkeit.

Es wäre zu wünschen, dass diese Art von Altersweisheit möglichst früh im Leben eines jeden einsetzen möge. Dann würde unsere Gesellschaft sicher menschengerechter funktionieren. Man könnte sich sogar fragen, wozu dann noch eine politische Ebene notwendig wäre oder welche Aufgabe sie hätte, wenn die Menschen allenthalben freundlich und hilfsbereit miteinander umgingen ohne dabei die großen Fahnen zu schwingen.

Das ist eine rhetorische Frage, denn natürlich gibt es in unserer technisch komplexen und global vernetzten Welt mehr Dinge zu regeln als jeder Einzelne im Rahmen seiner persönlichen Reichweite angemessen zu regeln vermag. Also sind übergeordnete Aktivitäten notwendig. Die Zivilgesellschaft braucht politische Ebenen als Regulativ, als Ort des Meinungsaustauschs und der Entscheidungsfindung und als organisatorische Hilfe, wenn sie sich verantwortungsvoll um die alltäglichen konkreten Aufgaben kümmern will. Die politische Ebene ist in diesem Bild der Zivilgesellschaft nachgeordnet, hilft vermittelnd bei deren Aktivitäten und sorgt für allgemeine Verbindlichkeit. Abstrakte Kampfbegriffe lösen sich so in konkreten Aufgaben und Maßnahmen auf.

Voraussetzung für diese demokratische Utopie ist natürlich, dass alle Akteure über eine gewisse ethische Reife, oben als „Altersweisheit“ bezeichnet, verfügen. Demokratisches Leben, demokratische Politik hat damit die Bildung des Menschen zu einer umfassend sachorientierten und respektvollen Verantwortlichkeit als Voraussetzung. Das ist zwar keine originelle Erkenntnis; aber originell wäre es, wenn sie (wieder?) ihren festen Platz in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen finden würde, möglichst weitgehend lückenlos, damit den wenigen korrupten Egoisten, die so oft an den Schalthebeln der Politik sitzen, mündige Bürger als Gegenwicht gegenübertreten können.

31.10.2022 Souverän bleiben

Seit langem hören wir, dass die USA eine absteigende und asiatische Länder eine aufsteigende Weltmacht seien. Manche Mitbürger, die sich als Freunde der „westlichen Wertegemeinschaft“ verstehen, haben deshalb keine Probleme mit den Kriegen, die die USA einschließlich westlicher Verbündeter seit Jahrzehnten führen – denn die führen sie natürlich nicht aus Eigennutz, sondern nur um die Menschenrechte durchzusetzen, die in den asiatischen Ländern leider nicht so bekannt sind… Andere Mitbürger, die schon immer kritisch gegen den US-Imperialismus eingestellt waren, scheinen rückhaltlos froh darüber zu sein, dass dem Westen zunehmend Paroli geboten wird, sei es von Russland mit militärischen Mitteln, sei es von China mit wirtschaftlichen Mitteln.

Man kann das so sehen und Staatenbünde wie BRICS, Shanghai Cooperation Organisation oder andere als sinnvolle Positionierungen gegen die westliche Vorherrschaft begrüßen. Aber ist das ist ein Grund, diese aufstrebenden Mächte gegen jede Kritik so zu verteidigen als seien sie nun aufgrund ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen ausschließlich Vorbilder, denen wir uns anschließen müssen? Manchmal scheinen da manichäische Weltbilder eine moderne Auferstehung zu feiern. Manche sehen beim Blick auf Osteuropa zur Zeit nur die politisch-ökonomisch aggressive westliche Vorgeschichte, wollen aber von der militärisch-aggressiven russischen Gegenwart nichts wissen. Oder sie begrüßen das chinesische Seidenstraßenprojekt ausschließlich unter dem Aspekt des antiimperialistischen Befreiungskampfes, wollen aber von der diktatorischen politischen Kultur, die dabei mittransportiert wird, nichts wissen. Umgekehrt sehen andere nur die russische Aggression in der Ukraine oder die chinesische Parteiführungs-Diktatur ohne etwas von der strategisch wirtschaftlichen Aggressivität des Westens oder den infrastrukturellen Entwicklungschancen durch die Belt & Road-Initiative wissen zu wollen. Das sind nur – nicht ganz beliebige – Beispiele.

Tun wir uns einen Gefallen, wenn wir uns solch einseitigen Sichtweisen in einem kindischen Gut-Böse-Schema anschließen, sei dies nun rechtsrum oder linksrum gestrickt? Nein. Unsere Souveränität bewahren oder erlangen wir nur, wenn wir uns auf unsere eigene Geschichte besinnen, auf das Projekt der europäischen Demokratien im Rahmen nationaler Unabhängigkeiten. Darin eingeschlossen sind selbstverständlich Kontakt und Austausch, wirtschaftlich, politisch, kulturell, mit nahen Nachbarn und fernen Partnern. Aber immer unter eigener selbstbewusster Regie, ob die Partner sich nun im Westen, im Osten oder im Süden befinden.

07.10.2022 Ukrainekrieg

Die Menschheitsgeschichte ist voll von Beispielen dafür, dass Krieg als Fortsetzung von Politik oder einfach als Raubmord-Aktion eines Stärkeren praktiziert wird. Eine Zeit lang haben wir geglaubt, dass dies der Vergangenheit angehören sollte und Krieg nur als Verteidigung, als staatliche Notwehr, akzeptabel sei – und auch das nur als letztes Mittel. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Selbstverständlichkeit nennenswerte Teile der Öffentlichkeit den Krieg wieder als Mittel der Politik akzeptieren. Freilich spielt dabei die Propaganda eine Rolle, mit der jeder Akteur seine Aktivität als Verteidigung von etwas darstellt, selbst wenn er als erster zu den Waffen greift.

Gegen den Vietnamkrieg gab es international und auch bei uns eine protestierende Gegenkultur. Beim Jugoslawienkrieg, der maßgeblich von deutschem Boden ausging, war das bereits anders; schließlich trug ein Teil der ehemaligen Friedensbewegung inzwischen Regierungsverantwortung. Westliche Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien galten trotz offensichtlicher Propagandalügen als Verteidigung der Freiheit, wogegen auch immer. Die Beteiligung am Libyenkrieg lehnte der damalige Außenminister Westerwelle ab, was ihm bereits mehr Kritik als Zustimmung einbrachte.

Im Ukrainekrieg sind wir nun so weit, dass öffentlich diffamiert wird, wer die Lieferung deutscher Waffen dorthin kritisiert. Obwohl laut Umfragen eine deutliche Mehrheit der Bürger diese Waffenlieferungen und auch die Sanktionen gegen Russland ablehnt. Parlamentsabgeordnete von links und vor allem von rechts (!) haben als Gegner von Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet wenig Chancen auf wirksames Gehör. Manche Teile dieser auch außerparlamentarischen Öffentlichkeit präsentieren sich aber kaum als konsequente Kriegsgegner, sondern haben der Sichtweise, dass Russland hier einen berechtigten präventiven Verteidigungskrieg gegen westliche Bedrohungen führe, oft nichts entgegenzusetzen.

Die Argumente jeder Seite gegen die jeweils andere sind überwiegend zutreffend: ja, die angloamerikanische Welt verfolgt seit dem 19. Jahrhundert das Ziel, Russland und Deutschland nicht gemeinsam stark werden zu lassen. Folglich ist man auf jüngere russische Versuche, ein gemeinsames europäisches Haus zu bauen nicht eingegangen, sondern hat die NATO-Front nach Osten verschoben; die US-Strategen haben Russland bewusst provoziert und mit Sanktionen belegt; man ignorierte den völkerrechtlich verbindlichen Minsk-Vertrag, man munitioniert die Ukraine, einen herausragend korrupten und nationalistischen Staat, für einen Stellvertreterkrieg – nachdem man zuvor einen gewalttätigen Putsch gegen eine nicht ausreichend EU-freundliche Regierung unterstützt hat. Stimmt alles.

Und ja, Russland hat fremdes Territorium angegriffen, Teile davon besetzt und für sich eingenommen, nicht erst im Februar 2022, sondern mehr oder weniger indirekt seit 2014. Als Motive hat Russland mal das Überschreiten roter Linien außerhalb Russlands genannt, mal den Schutz der russischen Bevölkerung in der Ostukraine, mal die Entnazifizierung der ganzen Ukraine inkl. ihrer Regierung in Kiew, mal die Konstruktion einer neuen Weltordnung gegen die vom westlichen Kapitalismus dominierte ungerechte und moralisch verkommene Welt. Die Selbstverteidigung Russland gegen einen drohenden Einmarsch war kaum einmal ein Argument, denn ein solcher Einmarsch stand nicht bevor. Aber ein Einmarsch Russlands in der Ukraine einschließlich zig tausenden Toten, Zerstörungen, Landbesetzungen hat stattgefunden. Und Reden der Kreml-Führung über die Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland hat es ebenfalls gegeben.

Wie würde das ostukrainische Volk abstimmen, wenn es zu wählen hätte zwischen ukrainischer Staatsbürgerschaft, ggf. mit mehr Autonomie, oder russischer Staatsbürgerschaft, vielleicht auch mit Autonomie, oder zerstörten Städten, zig tausenden Toten, hunderttausenden Flüchtlingen…? Bezweifelt jemand im Ernst, dass die letztgenannte Option auch die letztgewählte wäre? Aber das Volk ist nicht gefragt worden, frei, gleich, geheim. Nicht vor dem Krieg und schon gar nicht während des Krieges. Sondern es wird von beiden Seiten beschossen gemäß den Entscheidungen politischer Nationalisten und Geostrategen.

Es geht um Machtpolitik auf beiden Seiten, auch wenn die geopolitischen Randbedingungen und die ideologischen Narrative verschieden sind. Machtpolitik nutzt Krieg als Mittel der Politik, das ist leider keine Vergangenheit. Aufgabe der Politiker wäre es aber, dafür zu sorgen, dass die Menschen auf jedem Territorium, egal unter welcher Fahne, in Frieden und Wohlstand leben können. Aufgabe von uns Bürgern ist es, die Politiker darauf zu verpflichten. Jeder in seinem Land. Eine Mehrheit der Deutschen ist laut Umfragen der Meinung, dass im Fall Ukraine sowohl die westlichen Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine als auch die russische Invasion und Kriegsführung abzulehnen seien. Die Volksvertreter und Regierenden vertreten leider andere Meinungen. Und handeln anders. Das Volk ist mehrheitlich friedlicher als seine derzeitigen demokratischen Führer…

25.09.2022 Trauer um die Queen

Der Tod und die Trauerfeierlichkeiten für die britische Königin haben weltweite Beachtung gefunden. Dabei wurden auch Stimmen laut, die normalerweise nicht zu einem solchen Anlass gehören: Kritik an der Monarchie generell, an dem betriebenen Aufwand der Beerdigung, an der Tatsache, dass sich die Queen niemals für die Verbrechen entschuldigt habe, die im Namen der Krone über Jahrhunderte hinweg begangen wurden…

Das kann man so sehen, auch wenn man weiß, dass dem Königshaus politische Äußerungen (eine Bitte um Entschuldigung für Verbrechen ist eine politische Äußerung, weil sie sofort Schadensersatzforderungen nach sich ziehen würde) untersagt ist. Unabhängig davon zeigen die Trauerbekundungen von hunderttausenden Menschen im United Kingdom und auch anderswo aber noch etwas anderes.

Die Queen war beliebt und geehrt, offenbar deshalb, weil sie ihr ganzes Leben in den Dienst der Aufgabe gestellt hat, die das Schicksal ihr gegeben hat. Natürlich gibt es andere Schicksale als Königin zu sein. Aber es gibt auch Könige die anders damit umgehen. Die Queen mag praktisch, bzw. materiell niemandem viel genützt haben, im Gegenteil, das Königshaus kostet Steuergelder. Aber sie war ein Vorbild hinsichtlich ihrer Lebenseinstellung, die viele Bürger auch als Vorbild für eine nicht königliche Lebensführung verstanden wissen wollten. Das haben sie geschätzt, da sie es von anderen Repräsentanten so nicht kennen. Als junge Frau hatte sie sich verpflichtet, ihren Dienst zu tun, ein Leben lang. Viele ihrer Bürger haben sie in den 70 Jahren mehr als einmal freundlich zu Gesicht bekommen und sich in ihrem Alltag gewürdigt gefühlt. Noch wenige Tage vor ihrem Tod hat sie einmal mehr pflichtgemäß einen Premier verabschiedet und eine neue Premierministerin begrüßt.

Die Wertschätzung der Königin zeigt, dass Menschen gern ein Vorbild haben, an dem sie ihre eigene Einstellung zur verantwortlichen Lebensführung bestätigt und gewürdigt sehen. Das ist auch eine Erziehungshilfe für ihre Kinder, eine Orientierung für den Umgang mit Freunden oder Nachbarn, gerade dann, wenn das Vorbild die repräsentative Funktion hat, die man an der Spitze einer Nation eben hat. In dieser Funktion dient die entsprechende Person als Projektionsfläche für richtiges Tun und Lassen – weshalb es ebenso große Aufmerksamkeit gab, als die Queen beim Tod der Schwiegertochter einmal nicht richtig handelte. Sie kann die Vorbildfunktion in der einen oder anderen Richtung ausüben, aber sie übt sie in jedem Fall aus. „Stell Dich den Aufgaben, die das Leben Dir stellt. Ich tue es auch.“ In dieser Allgemeinheit besteht eine Gemeinsamkeit zwischen Repräsentant(in) und Volk und eine gefühlsmäßige Unterstützung für das tägliche Leben. Solange es politische, bzw. repräsentative Funktionen in einem Staatswesen gibt, ist dies das Beste, was man von einem solchen Amt erwarten kann.

Ob diese ideelle Funktion die Steuergelder wert ist, zumal nicht jeder im Königshaus ähnliches leistet, ist eine andere Frage. Übrigens liefert das Haus Windsor durch sein Vermögen und seine eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten mehr Steuergelder ab als es selbst beansprucht (NZZ 23.09.2022). Jedenfalls spricht nichts dagegen, sich vorbildliche politische Repräsentanten zu wünschen, am besten sogar in politischen Funktionen auf allen Ebenen.