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12.04.2025 Zeitenwende

Als der chinesische Präsident im März 2023 nach einem sechsstündigen Treffen mit dem russischen Präsidenten abends den Kreml verliess, hielt er auf der Schwelle, auf dem Weg zur Limousine, noch einmal inne, um sich von seinem Gastgeber zu verabschieden und seine Abschiedsbotschaft zu formulieren: «Derzeit finden Veränderungen statt, wie man sie in einem Jahrhundert nicht gesehen hat», sagte Xi zu Putin, ­einen seiner Lieblingssätze benutzend. Dann aber kam es: «Wenn wir zusammen sind, sind wir es, die diese Veränderungen vorantreiben.» Dem chinesischen Präsidenten war offenkundig nicht klar, dass die ein Stück entfernt stehenden Journalisten seine Worte dank ihren Mikrofonen mithörten. «Ich stimme zu», antwortete der russische Präsident, «pass auf dich auf, bitte, lieber Freund.»

Soweit ein Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, vom 08.04.2025. Wir sehen auch hier: Das Steuerrad der Weltpolitik wandert nach China und zu dessen Verbündeten, weg von den USA und dessen Verbündeten. Das ist noch keine Neuigkeit. Interessant ist die Tatsache, dass die Hauptakteure sich dieser weltpolitischen Zeitenwende sehr bewusst sind und sie als Präsidenten großer und militärisch gut gerüsteter Staaten aktiv gestalten. Wollen. Und es auch tun. Sind sie bessere Vorbilder als der seit langer Zeit aktiv kriegerische Westen? Vorerst vielleicht. Aber den Ukrainekrieg darf man nicht nur aus westlicher Sicht als einen Stellvertreterkrieg zulasten der Ukraine sehen; er ist gemäß Worten und Taten des Kremls auch von dieser Seite aus ein Schritt zu einer neuen Weltordnung, d.h. ein politischer Zug auf dem globalen Schachbrett. Und die Belt & Road Initiative ist nicht nur ein Wirtschaftsprojekt zugunsten anderer eurasischer und afrikanischer Staaten; sondern sie bringt andere Staaten in die Abhängigkeit der neuen Großmacht China.

Diese einfachen Tatsachen können niemanden überraschen. Aber sie fordern uns vehement auf zu überlegen, wo und wie wir in dieser Konstellation stehen und gehen wollen. Bisher war unser Platz im westlichen Bündnis selbstverständlich, obwohl er eine Dominanz der US-Interessen und die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Aktionen beinhaltete. Das muss hier nicht einzeln erinnert werden; wer es wissen will, weiß es, und wer es nicht wissen will, wird sich auch von Fakten nicht beeindrucken lassen. Manche betonen nun, dass man diese Partnerschaft trotz der aktuellen US-Regierung erst recht nicht aufgeben dürfe; andere schlagen sich auf die Seite der aufstrebenden Weltmächte in und um China mit Verweis auf deren uralte Zivilisation, ihre mangelnde Kriegsbereitschaft nach außen, ihre kulturellen Weisheiten; und es gibt drittens die Position, dass Europa sich nun selbst stabilisieren und behaupten müsse – vor allem militärisch…

Für uns „alte Europäer“ (so ein Schimpfwort des ehemaligen US-Ministers Rumsfeld) sollte es selbstverständlich sein, dass wir unsere nationalen Souveränitäten bei gleichzeitiger friedlicher und völkerrechtskonformer Zusammenarbeit pflegen, sicherlich auch mit Verteidigungs(!)fähigkeit. Das beinhaltet Distanz, aber keine Feindschaft zu den USA. Und ebenso Distanz, aber keine Feindschaft zu den aufstrebenden Weltmächten um China herum wie auch zu allen anderen Staaten. Aber wir sollten sehen, dass gerade die BRICS + Staaten untereinander sehr unterschiedliche und vor allem von unserer Kultur sehr unterschiedliche politische und kulturelle Traditionen haben. Es besteht kein Anlass, darin selbstvergessen Zukunftsvorbilder für uns zu sehen, auch wenn wir von kulturellen Weisheiten anderer gerne lernen können.

Werfen wir doch den Blick auf unsere eigene(n) Kulturgeschichte(n). Wenn wir die guten Seiten der europäischen Geschichte in Erinnerung und auf die Tagesordnung rufen, so ist es gerade die politische Demokratie, die unser kulturelles Erbe prägt, auch wenn das sicher nicht durchgängig, aber immer wieder nachdrücklich in verschiedenen Formen zum Vorschein kam. Dabei steht die subsidiäre Selbstbestimmung kleiner Einheiten im Vordergrund. Das ist unsere zutiefst europäische Weisheit, Daran müssen wir uns erinnern, wenn wir auf das Schachspiel der großen Weltmächte in West und Ost schauen. Fast möchte man Peter Handke zustimmen, der ebenfalls in der NZZ einen Tag später als das obige Zitat (09.04.2025) zwar seine Abscheu vor den Nationen ausdrückte, aber mit dem Zusatz „Wenn Liechtenstein sagen würde: ´Wir sind eine Nation´, dann wäre ich sofort dafür. Oder Graubünden.“ Das bezeichnet eine gute und typisch europäische Tradition: Demokratie, d.h. politische Freiheit, geht nur kleinteilig, in subsidiärer Hierarchie von unten nach oben. Das ist selbstverständlich kein Hindernis für friedliche Kooperation über Grenzen hinaus. Wer aber von vornherein großteilig in polaren Machtzentren denken will, hält es eben mehr mit der Macht und weniger mit Demokratie und politischer Freiheit.

04.04.2025 Gewalttätige demokratische Oligarchien

Dass die Demokratie(n) in Gefahr sei(en) ist keine originelle Nachricht mehr; fast jeder beklagt dies mit Blick auf den jeweiligen politischen Gegner. Manche sehen im System einer repräsentativen Demokratie grundsätzlich einen Mangel, weil eine Klasse von Berufspolitikern sich damit permanent vom normalen Leben der Bürger entfernt und sich in der Welt verschiedener Lobbygruppen heimisch einrichtet; andere sehen zumindest in der aktuellen Entwicklung nicht nur in Deutschland einen diktatorischen Trend mit zunehmender Bereitschaft zur Gewalt statt zur verbalen Auseinandersetzung.

Beide Standpunkte haben einen Wahrheitskern. Zu der radikaleren Version einer grundsätzlichen Kritik am Parlamentarismus verweise ich auf den Button „Demokratie im Detail“, wo verschiedene Formen der Demokratie vorgestellt, diskutiert und mit Blick auf Deutschland im Sinne direkterer Demokratie weiterentwickelt werden. Im Folgenden geht es um die aktuellen Tendenzen.

Im Vordergrund steht natürlich die Entwicklung in den USA, wo man sich zur Zeit noch fragen kann, ob es sich bei der Trump-Administration um eine US-nationalistische Politik zum eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf andere handelt oder doch mehr um eine Revolution von Dilettanten, sogar zum Nachteil der eigenen Wirtschaft. Lassen wir das einmal dahingestellt und konzentrieren uns auf die politische Seite: Tatsächlich scheint sich das Weiße Haus in Washington D.C. in den Sitz eines beinahe absoluten Monarchen verwandelt zu haben, gegen den Kongress und Justiz kaum etwas ausrichten. Die US-Verfassung, die ja selbst aus monarchistischen Zeiten stammt, scheint das zuzulassen und das Volk selbst ebenfalls. Internationale Beziehungen werden so geführt, als sei der Staat ein gewinnorientiertes Handelsunternehmen, wobei die Welt allerdings als ein statisches und nicht als dynamisches Modell gesehen wird. Das spricht dann doch für einigen Dilettantismus, gepaart allerdings mit erschreckender Rücksichtlosigkeit, gegen wen auch immer.

Ähnliches sieht man auch in anderen Weltgegenden. Der Völkermord Israels am palästinensischen Volk – welches sich selbst leider einmal mörderische Führer gewählt hatte – wird dort von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragen; Kritik gibt es nur daran, dass die eigenen Geiseln gefährdet werden. Kann man eine solche Mehrheitsaktivität als demokratisch bezeichnen? Zählt nichts anderes als ein Mehrheitswille, auch wenn er offensichtlich über Leichen geht?

Der Krieg, den der Kreml in der Ukraine führt, wird von einer Mehrheit der russischen Bevölkerung offenbar ebenfalls unterstützt oder zumindest akzeptiert. Von Kriegen in anderen Ländern und Kontinenten, die wir kaum wahrnehmen, ganz zu schweigen. Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch (zumindest die meisten von uns) ein friedliches und kooperatives Wesen ist (denn anders gäbe keine Zivilisationen), dann muss diese Akzeptanz von Gewalttätigkeiten der Führungsgruppen und ihrer ethisch eher gleichgültigen Anhängerschaft doch nachdenklich stimmen. Ginge es wirklich demokratisch zu, dann wäre all das Furchtbare nicht möglich. Immerhin zeigt sich in der Türkei gerade ein starkes demokratisches Bewusstsein, zumindest in Form von Demonstrationen.

Aber auch wir haben uns daran gewöhnt, dass wir kaum noch selbst bestimmen, was wir wollen dürfen. Wir wählen Politiker, die endlich mal wieder richtig führen sollen und erleben, dass sie – noch nicht einmal im Amt! – einen Schuldenberg vor allem für Waffenbeschaffung beschließen, gegen den die Beschlüsse der abgewählten Vorgängerregierung lächerlich harmlos erscheinen. Die Zeitungen sprechen von Glaubwürdigkeitsverlust – und sonst? Wahrscheinlich sind wir auch durch die inzwischen gut etablierte antinationale EU-Propaganda und -Praxis innerlich darauf eingestellt, dass wichtige Entscheidungen sowieso nur noch in großer Entfernung vom Bürger gefällt werden, in Gremien, deren demokratische Legitimation gewiss noch geringer ist als die der präsidialen Administration in Washington D.C. (siehe zur EU verschiedene Einträge auf dieser Website). Wir richten uns gerade in einer gewaltbereiten Oligarchie ein, auch wenn die demokratischen Institutionen ungehindert weiter bestehen.

Eine Änderung des hier Beklagten kann nur in unseren eigenen Köpfen beginnen. Wir müssen uns gründlich vergegenwärtigen, dass es in der Demokratie und im internationalen Verkehr nur um das friedliche Austragen von Interessengegensätzen und das konstruktive Gestalten des Gemeinwohls gehen kann. Es führt keinen Schritt vorwärts, die anderen zu beschuldigen, dass sie nicht mitmachen.

21.03.2025 Multipolar oder multilateral?

In Berichten zur Weltpolitik ist das Adjektiv „multipolar“ seit Jahren in Mode gekommen. Damit wird das Ende der „bipolaren“ Blockkonfrontation des Kalten Krieges (Westen – Osten) ebenso abgelehnt wie der darauf folgende „unipolare“ Anspruch der „einzigen“ Weltmacht USA. Jetzt sei eine multipolare Welt angesagt, was als Fortschritt in Richtung einer demokratischen Ordnung des Globus verstanden wird.

Darin ist leider ein Missverständnis enthalten. Es lohnt sich deshalb, diesen Begriff etwas genauer zu betrachten. Der Völkerrechtsexperte Prof. Dr. Köchler hat in einem Vortrag über Sanktionspolitik einen Unterschied zwischen multipolar und multilateral erläutert. Er bezieht multipolar auf eine globale Machtstruktur, wo also mehrere Staaten in einer unterschiedlichen Machtkonstellation zueinander stehen, während er multilateral auf die Methode der Machtausübung bezieht, wo die Staatengemeinschaft im Rahmen der UNO z.B. eine Zwangsgewalt durch Sanktionen ausübt.

Man könnte die begriffliche Unterscheidung noch allgemeiner fassen: Der erste Begriff bezeichnet „viele Pole“, der zweite „viele Seiten“. Bezieht man diese Begriffe auf die Staaten dieser Welt, so ist in dem polaren Begriff eine Hierarchie enthalten, die in dem lateralen Begriff nicht enthalten ist. Mit den Polen sind Großmächte gemeint, die einen mehr oder weniger abhängigen Kreis von minder mächtigen Staaten um sich haben. Solche Pole sind heute z.B. die USA, China, Russland, demnächst vielleicht Indien, Brasilien, arabische Königreiche, Nigeria… wer weiß. In einer multilateralen Welt wird dagegen die Gleichrangigkeit betont; man hat seine Partner zur Seite, also gleichermaßen souverän. Hier wird die horizontale Richtung betont, während im polaren Begriff eine Vertikalität enthalten ist.

Die Realität entspricht natürlich dem polaren Bild; es gibt wirtschaftlich, politisch, militärisch sehr unterschiedlich starke Staaten, sodass nicht gleichrangige Abhängigkeiten bestehen. Das laterale Bild beschreibt dagegen eine Art Utopie, die auch in dem unmittelbar auf politischer Gleichheit und Souveränität beruhenden Völkerrechtsgedanken enthalten ist. Das sollte selbstverständlich unser aller Leitbild sein. Diese Begriffsunterscheidung ist keine sophistische Haarspalterei, sondern sie prägt täglich unsere Bewertung der Ereignisse. Akzeptiert man „realpolitisch“ die multipolare Welt, so ist kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn z.B. die USA die Politik in anderen Ländern prägt, z.B. durch Maßnahmen zur Konsolidierung von deren wirtschaftlicher Abhängigkeit. Das betrifft konkret den NATO-orientierten Teil Europas, lange Zeit beide amerikanische Kontinente (Monroe-Doktrin), neuerdings verstärkt Mexiko und Kanada… Ebenso ist in dieser Sichtweise auch kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn z.B. Russland darauf besteht, dass sein Nachbar Ukraine zu seinem wirtschaftlichen und politischen Einflussgebiet gehören muss, was notfalls mit Krieg als Mittel der Politik durchgesetzt wird. Man kann diese Sichtweise auch auf chinesische Projekte beziehen, die wirtschaftliche Entwicklungen inkl. Landbesitzungen in Eurasien und Afrika vorantreiben (Belt & Road), natürlich unter chinesischer Führung und mit Verschuldungsabhängigkeiten in den betroffenen Ländern. All das korrespondiert ziemlich widerspruchsfrei mit einer multipolaren Weltordnung. Man mag es als Fortschritt gegenüber einer uni- oder bi-polaren Ordnung empfinden.

Wer es allerdings mit demokratischen Strukturen auch international ernst meint, sollte die genannten Beispiele einmal unter dem multilateralen, also genossenschaftlichen Gedanken bewerten, auch wenn dem etwas Utopisches innewohnt. Wenn man z. B. – völlig zu Recht! – für eine konsequentere Souveränität der europäischen Staaten gegenüber den USA eintritt, muss man diesen Maßstab auch an die Aktivitäten aller übrigen „Pole“ anlegen. Umgekehrt: wer Verständnis für den polaren Anspruch des Kreml auf die Ukraine oder andere russische Nachbarstaaten äußert, hat schlechte Argumente gegen die eigenen polaren Abhängigkeiten. Oder nochmal umgekehrt: wer auf einer Führungsrolle z.B. der USA gegenüber den europäischen Partnern besteht, hat schlechte Argumente gegen den Führungsanspruch Moskaus gegenüber Kiew. Ein Unterschied ist hier allerdings, dass der letztgenannte Anspruch sich mit einem jahrelangen mörderischen und völkerrechtswidrigen Krieg durchsetzen will.

27.02.2025 Für ein besseres Bundestags-Wahlsystem

Die Bundestagswahl vom 23.02.25 hat nach dem von der abgewählten Regierung reformierten Wahlsystem stattgefunden. Eines der schlechten Ergebnisse besteht darin, dass 23 direkt gewählte Abgeordnete keine Abgeordneten werden können. Daher erinnere ich noch einmal an meinen Vorschlag für eine besseres Wahlrecht, das bereits unter dem Button Demokratie im Detail vorgestellt wurde.

Dass die Abgeordneten in einer allgemeinen, unmittelbaren, freien und gleichen Wahl (§ 38 GG) gewählt werden, war diesmal nicht der Fall: 23 Wahlkreise haben keinen „unmittelbar“ gewählten Abgeordneten, sondern sind nur mittelbar über eine Partei vertreten. Sie sind gegenüber den anderen Wahlkreisen damit nicht „gleich“ gestellt. Die Wähler hatten keine „freie“ Entscheidung darüber, ob sie einen direkt gewählten Abgeordneten haben oder nur mittelbar vertreten sind, denn das war von übergeordneten Ergebnissen anderer Wahlkreise abhängig. Das Grundgesetz bevorzugt den persönlichen unmittelbaren Abgeordneten, nicht die Partei.

Warum kann die Bundestagswahl nicht eine BUNDEStagswahl sein – ohne Landeslisten der Parteien, nur mit Partei-Bundeslisten und Einzelbewerbern? Das würde dem Föderalismus keineswegs widersprechen. Denn die Landesinteressen sind in den Landesparlamenten und im BundesRAT vertreten. Die Bundestagsabgeordneten haben schließlich sowieso nur das ganze Volk zu vertreten, sind an Aufträge und Weisungen (vom Bundesland, von der Partei, der Fraktion) nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 GG). Ja, die Parteien müssten sich dann über eine (1) bundesweite Liste einigen oder könnten Bündnisse eingehen, z.B. auch CDU und CSU. Aber das kann bei einer BUNDEStagswahl nicht zu viel verlangt sein.

Mit diesem Ansatz würden viel weniger Ausgleichsmandate erforderlich werden, wenn man die Zweitstimme bundesweit als Basis für Ausgleichsmandate nimmt.

                                                                                                                   2025 wäre folgendes Ergebnis entstanden:

ParteiZweitstimmen 2025 in %
real
Direktmandate 2025
real
% Anteil der Direkt-mandate 2025
real
Ausgleich von Bundeslisten
Vorschlag
Ausgleich gemäß
Vorschlag   
Ergebnis gemäß Vorschlag
CDU/ CSU28,5219063,60= 19033,10
AfD20,804615,4+ 93= 13924,21
SPD16,414515,0+ 64= 10918,99
Grüne11,61124,0+ 65=   7713,41
Linke8,7762,0+ 53=   5910,28
SSW0,1500+   1=     100,01
BSW4,970000verteilt
FDP4,330000auf die
sonstige4,440000anderen
Summe100299100+ 276= 575100

Es gäbe wie bisher 299 Wahlkreise und ebenso viele direkt gewählte Abgeordnete. Es gäbe bei Einhaltung des Parteienproporzes und des Grundgesetzes 2025 nur 575 Abgeordnete.

P.S.: Unabhängig davon könnte die 5 % Klausel auf 3 % gesenkt werden, damit nicht ca. 5,5 Millionen Stimmen verloren gehen, wie das 2025 geschehen ist. Die Abgeordnetenzahl könnte dann zwar wieder steigen, aber der Wille des Grundgesetzes (§ 38) wäre wesentlich angemessener realisiert.

24.02.2025 Wer soll das bezahlen?

Hohe Staatsverschuldung, Schuldenbremse, Abschaffen unnötiger öffentlicher Ausgaben, bürokratische Entschlackung – das Thema Geldknappheit des Staates angesichts wachsender (?) Aufgaben ist ein Dauerbrenner. Zweifellos gibt es ausreichend Gelegenheiten, auch eine unter staatlicher Obhut stattfindende Geldverschwendung zu zügeln; das ist aber nicht das Thema dieses Zwischenrufes. Sondern hier wird ein Vorschlag noch einmal in Erinnerung gerufen, wie der Staat unbürokratisch und gerecht seine Einnahmen stabilisieren oder sogar erhöhen kann. Womit nicht gesagt sein soll, dass auf der Ausgabenseite nicht ebenfalls Hausaufgaben zu erledigen wären. Gemeint ist die Microsteuer, die in der Schweiz vor wenigen Jahren leider erfolglos zu einer Volksabstimmungsinitiative geführt hat. In anderer Form war der Gedanke vor Jahrzehnten schon einmal als Transaktionssteuer auch in Deutschland im Gespräch.

Microsteuer meint, dass auf jeden Vorgang, bei dem Geld bewegt wird, automatisch eine Steuer erhoben und abgebucht wird, zum Beispiel 0,1 Promille, also bei einer Bewegung von 100 €: 1 Cent. Das gilt sowohl für Transaktionen zwischen den Banken als auch bei „normalen“ Überweisungen und ebenso, wenn ich Bargeld am Automaten abhebe. Es ist gewiss kein Problem, Software so zu programmieren, dass bei jedem Zahlungsvorgang, bei jeder Kontobewegung ein geringer Promillesatz einbehalten wird. Das einbehaltene Geld wird auf ein staatliches Treuhandkonto gebucht und dem Fiskus zugeführt. Je nach Ausgestaltung im Detail kann das der Gemeinde /dem Landkreis, dem Land, dem Bund zukommen. Ein Bruchteil davon wird als Bankbearbeitungsgebühr verbucht. Dieses System tritt ohne Ansehen der Person in Kraft, wenn ich mir zum Beispiel 100 € Bargeld am Automaten hole, und ebenso wenn jemand (nicht ich!) 100 Millionen € dreimal täglich von Luxembourg nach Delaware und von dort nach Düsseldorf oder Lüdenscheid und wieder zurück transferiert. Bei einem einzelnen Transfer fallen dann bereits 10.000 € an, bei mehreren Transfers das Mehrfache. Diese Steuereinnahme erfordert nicht einmal unzählige Finanzbeamte, sondern nur einen vergleichsweise geringen Aufwand an Software-Entwicklung und -Pflege.

Das Bestechende an dieser Idee ist die Tatsache, dass es keine Möglichkeit zur Steuerhinterziehung gibt. Es werden auch große Geldbewegungen erfasst, die heutzutage in manchen Kreisen üblich sind, obwohl es sich dabei oft nur um fiktive Buchungen handelt, hinter denen keine realen Wertbewegungen stattfinden. Über automatische Abbuchungen würden dann auch dort Steuern eingetrieben – und zwar hohe Beträge für den Fiskus, obwohl es nur minimale Beträge für die nominellen Buchungen sind. Mit anderen Worten: es würden Geldquellen für den Staat erschlossen werden, die es bisher zum Teil nicht gab oder die zum Teil umgangen wurden.

Natürlich können damit nicht alle Steuern ersetzt werden, denn verschiedene Steuereinnahmen gehören in verschiedene öffentliche Töpfe und das ist auch gut so. Bei dem Schweizer Vorschlag sollte damit die Bundessteuer und die (dem Bund zustehende) Mehrwertsteuer ersetzt werden. Nach überschlägigen Berechnungen wären dort bereits bei einem Micro-Steuersatz von nur 0,05 Promille also 1 Cent von 200 € die bisherigen Einnahmen durch Bundes- und Mehrwertsteuer übertroffen worden.

Es bleibt der natürlichen Intelligenz von Fachleuten überlassen, welche Steuerarten durch dieses System ersetzt werden könnten, sei es die Mehrwertsteuer, seien es andere Verbrauchs- oder Gewerbesteuern – letztlich kommt alles in Frage, was mit Geldbewegungen verbunden ist, bis hin zur Erbschaftssteuer. Finanz- und Justizbeamte wären umfassend entlastet und Steuerhinterziehungen massiv erschwert.

Natürlich wäre es im Hinblick auf zu befürchtende Steuerflucht sehr hilfreich, wenn ein solches System international eingeführt werden könnte. Da hätte zum Beispiel die Europäische Union einmal etwas Sinnvolles zu tun.

15.02.2025 Wozu sind demokratische Institutionen gut?

Diese Frage wird leider kaum gestellt, während man gleichzeitig auf allen Seiten „die Demokratie“ in Gefahr sieht, damit meist aber nichts anderes als das Erstarken politischer Gegner meint. Ist „die Demokratie“ wirklich in Gefahr? Hat jemand unsere Institutionen, die Gewaltenteilung abgeschafft? (Die Souveränitätsabgabe nach Brüssel wird hier nicht thematisiert; das geschieht an anderen Stellen dieser Website ausführlich.) Erinnern wir uns: Wir haben eine Legislative, das demokratisch gewählte Parlament, das Gesetze verabschiedet. Wir haben eine von diesem Parlament gewählte Regierung, sowie Verwaltung, Polizei, die die Gesetze umsetzen. Wir haben Gerichte, deren Richter unabhängig urteilen – oder haben wir das alles nicht?

Soweit die Theorie. Natürlich gibt es viele, die verschiedene Entscheidungen lieber anders entschieden gesehen hätte. Natürlich gibt es Lobbygruppen, die Entscheidungen in ihrem Sinn beeinflussen. Aber was folgt aus diesen Tatsachen? Die demokratische „Hardware“, die Institutionen, sind weiterhin vorhanden. Und die demokratische „Software“, die handelnden Personen – das sind wir selbst. Wir sind aufgefordert, unsere Hardware besser zu nutzen.

Schaut man sich um, zum Beispiel in der ältesten modernen Demokratie, dann kommen einem schon eher Zweifel auch an der „Hardware“. Man sieht einen mit erheblichen Machtmitteln ausgestatteten vorbestraften Präsidenten, der diese Machtmittel nicht nur über Gebühr ausnutzt, sondern dabei von einer Legislative kaum kontrolliert werden kann und auch von Gerichten kaum zu stoppen ist. Er gestaltet mit Erlassen und Verfügungen und Begnadigungen und provokanten Ankündigungen „sein“ Land rücksichtslos nach den Vorstellungen einer Minderheit um, stellt unliebsame politische Meinungsträger ins Abseits und greift rücksichtslos auch in die Umgestaltung anderer Länder ein, erlaubt sich sogar Kritik an mangelnder Meinungsfreiheit in anderen Ländern, als müsste der Bock den Gärtner belehren – mit einer Legitimation, die aus nichts anderem als finanzieller, militärischer und publizistischer Macht besteht. Diese drei sind allerdings keine Gewaltenteilung, sondern eine Gewaltenkonzentration. Die Kettensäge des argentinischen Präsidenten erscheint daneben geradezu als Kinderspielzeug.

Ja, er ist gewählt worden – von einem knappen Drittel der Wahlberechtigten. Das lohnt einen Blick auf das Wahlsystem, denn es ist ein Unterschied, ob die verschiedenen Bürgerwillen auf der politischen Ebene irgendwie vertreten sind oder ob sogar große Minderheiten, bzw. sogar Mehrheiten der Wahlberechtigten, nichts (mit) zu entscheiden haben. Denn es geht in der Demokratie ja nicht darum, dass ein (1) fiktiver „Bürgerwille“ auf der politischen Ebene zum Tragen käme; den gibt es nicht. Es darf nicht eine relative Mehrheit eine Zeitlang machen, was sie will; sondern es geht darum, dass die verschiedenen Bürgerwillen austariert werden, Der gern zitierte Gegensatz von denen da oben und denen da unten ist übrigens ein ebenso eingängiges wie falsches Bild. Beide Seiten haben keinen einheitlichen Willen, die da oben nicht und die da unten auch nicht. Man vergisst leicht, dass noch nahezu alle politischen Führungen, selbst Diktatoren, eine oft nicht geringe Anzahl von Anhängern hatten. Damit sollen nicht Diktatoren legitimiert, sondern an das Wesen der Demokratie erinnert werden: Wo bleibt der Wille von Minderheiten, die in ihrer Summe nicht selten sogar eine Mehrheit gegenüber gewählten Regierenden bilden?

Eine gute Antwort ist die Gewaltenteilung, die oben als „Theorie“ bezeichnet wurde. Erste Frage: ist diese Theorie falsch? Antwort. Nein. Nächste Frage also: wie kann diese Theorie nachhaltig Praxis werden? Erste Antwort: indem angemessene Strukturen für die verschiedenen Entscheidungskompetenzen institutionalisiert sind und bleiben. Hier gibt es verschiedene mehr oder weniger gute Modelle; der Button Demokratie im Detail _ Demokratische Vielfalt gibt dazu einen genaueren Überblick. Allen historisch gewachsenen „Modellen“ gemeinsam ist allerdings, dass sich auf den höheren Ebenen der Politik in der Regel Menschen befinden, die das politische Geschäft zu ihrem Beruf gemacht haben und mehr oder weniger intensiv in einer Welt leben, die von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in der Gesellschaft oft weiter entfernt ist als von den Konkurrenten auf der politischen Bühne. Das ist in einer komplexen und global vernetzten Welt wohl unvermeidbar, auch wenn einzelne Politiker gewiss über unterschiedliche individuelle Qualitäten verfügen.

Das leitet über zur zweiten Antwort: gute Institutionen sind eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung; sie nützen nichts, wenn die Bürger sie nicht aktiv nutzen und die dort Handelnden kontrollieren. Das ist einfacher, wenn gute Handlungsmöglichkeiten für direkte Bürgeraktivitäten institutionalisiert sind. Ich wiederhole: institutionalisiert sind. Ein gutes Vorbild ist die Schweizer Eidgenossenschaft, ein etwas schwächeres das dänische Königreich und, ja, auch die deutsche Republik, jede mit eigenen Traditionen und natürlich mit Optimierungsmöglichkeiten – während die Präsidialdemokratien wie in USA oder Frankreich diesbezüglich weniger gut ausgestattet sind. Sie fallen deshalb eher mit großen oder häufigen Demonstrationen oder gelegentlichen Streiks auf, die auf den politischen Entscheidungsebenen aber eher wenig bewirken. Bei aller Kritik, die zur Zeit auch in Deutschland an unserer Demokratie und den dort aktiven Kräften gern geübt wird, bleibt es wahr, dass es hier eine größere politische Vielfalt bis hinein in die Entscheidungseben gibt als z.B. in den genannten Präsidialdemokratien.

Wahr bleibt allerdings auch, dass die verschiedenen politischen Kräfte und Bewegungen eine gewisse Tendenz zur Konvergenz aufweisen, je näher sie in die politischen Entscheidungszentren vordringen. Konkrete Beispiele müssen dem politisch interessierten Leser nicht ausgebreitet werden. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass die politischen Machtzentren eine Ähnlichkeit mit schwarzen Löchern haben, in denen alle Unterschiede verschwinden. Der Vergleich hinkt nur insofern als dass die verschiedenen Akteure weiterhin in der Lage sind, verschiedenfarbige Fahnen für ihr jeweiliges Publikum zu schwenken – und damit Gegensätze verschärfen, die so oft kaum existieren. Manchmal erscheint dann aber doch ein anderer Wille als konkurrierendes Schwarzes Loch, der sich aus mehr oder weniger großen Minderheiten derer da oben UND derer da unten rekrutiert. Andere Minderheiten da oben haben dann kein Problem, das politische Lager zu wechseln, wenn die da unten mal anders gestimmt sind – Hauptsache, sie behalten Zugang zu den Entscheidungsträgern. Das ist es, was wir gerade in USA erleben.

Ein rascher Trugschluss wäre es aber, deshalb die politische Ebene und ihre Institutionen geringzuschätzen, so als könnten die Bürger besser darauf verzichten. Dieser naive Anarchismus würde nichts anderes zur Folge haben als ein ungebremstes „Recht“ des Stärkeren. Denn demokratische Institutionen inkl. Gewaltenteilung sind der Schutz der Schwächeren, um ihre Interessen friedlich zur Geltung bringen zu können – was sie dann aber auch tun müssen! Demokratie macht viel Arbeit – so lautet der Appell an die „Schwächeren“. Sie sind es vor allem, die sich der Institutionen bedienen und sie ggf. verbessern müssen. Sonst tun es die anderen, denen es meist leichter fällt.

Die verschiedenen Formen der real existierenden Demokratien zeigen einigermaßen anschaulich beides: dass bürgeroffenere politische Strukturen tendenziell mit besseren Lebensverhältnissen einhergehen; und dass diese Aussage desto eher zutrifft je aktiver und gebildeter die Bürger sind und diese Institutionen auch nutzen. Mehr oder weniger aggressive Demonstrationen für oder gegen bestimmte politische Ziele sind zwar einfacher, sie sind zweifellos erlaubt und oft begleitend notwendig, aber allein kaum nachhaltig. Dafür braucht es demokratische Institutionen und ihre Nutzung. Nicht umsonst hat in den 1960er Jahren ein außerparlamentarischer Oppositioneller den „Langen Marsch durch die Institutionen“ proklamiert. Manche seiner direkten und vor allem seiner späteren Anhänger, die das ernst genommen haben, sind seitdem erfolgreicher geworden als irgendjemand das damals geglaubt hat. Leider hat aber auch das Schwarze Loch seine magnetische Wirkung dabei gezeigt.

26.01.2025 Gesinnung demonstrieren? – Demokratie praktizieren!

Die Demokratie ist in Gefahr, so hört man von allen Seiten. Zigtausende demonstrieren „gegen rechts“ und errichten mehr oder weniger hohe Brandmauern dagegen. Gemeint sind hierzulande die AfD und anderswo die Trumps, Krickls, Orbans, Le Pens, Melonis & Co., also diejenigen, die auf nationaler Souveränität bestehen und dafür ggf. ihre Grenzen kontrollieren und Missbrauch vermeiden/ begrenzen wollen. Man darf darin drohende Gefahren sehen und „den Anfängen wehren“ wollen, sollte aber nicht vergessen, dass dahinter große Zahlen von Wählern, bzw. demokratische Legitimationen zum Regieren stehen, die man ernst nehmen muss. Zugegeben: die US-Demokratie zeigt ihre Schwächen gerade sehr deutlich. Ein vorbestrafter Präsident wurde mit ungleichen Wahlsystemen von einem Drittel der Bürger gewählt, kann per Dekreten die Legislative übergehen, die ihn sowieso kaum kontrolliert, per Begnadigungen in die Judikative eingreifen und selbst einen Verfassungsbruch propagieren. Siehe auch – Button Demokratie im Detail – Demokratische Vielfalt – USA.

Es gibt unter diesen Wählern unbelehrbare Rassisten, dennoch sind sachliche Argumente statt Demonstrations- und Kampfbereitschaft gefordert. Nicht weil man damit jeden überzeugen kann, sondern weil man nur so Demokratie am Leben erhält. Sind „demokratische“ Brandmauern gegen rechten Wählerwillen denn etwas Besseres als der von rechts geforderte souveräne Umgang mit den eigenen Landesgrenzen und den Bürgerrechten? Die einen wollen unerbetene Nicht-Staatsbürger aus Deutschland ausgrenzen, die anderen wollen unliebsame Staatsbürger von politischer Einflussnahme ausgrenzen. Ist das wirklich demokratischer? Das Demonstrationsrecht ist eine gute demokratische Errungenschaft – vor allem um den Bürgerwillen gegen schlechte Regierungen zu zeigen! Aber welchen Sinn hat es, wenn eine Bürgergruppe gegen eine andere ihre politische Haltung demonstriert? Will sie damit die anderen überzeugen? Wohl kaum. Will sie die Regierung auffordern, die anderen irgendwie zum Schweigen zu bringen? Hoffentlich nicht. Man zeigt seinen Mitbürgern so nur die „richtige“ Gesinnung, wozu man jedes demokratische Recht hat. Aber ein praktischer Sinn ist kaum erkennbar.

Solche Gesinnungs-Demonstrationen können sogar gefährlich sein, weil sie aus rivalisierenden politischen Lagern verfeindete politische Lager machen und Aktivisten gegeneinander in Stellung bringen, ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet. Wer bringt mehr Demonstranten auf die Straße oder Wähler an die Urne? So handelt, wer mit dem anderen nicht reden will. Das gilt für aggressive Rechtsradikale ebenso wie für aggressive Klimaschützer und Antifaschisten. Und wer den historisch hinkenden Vergleich mit 1933 bemüht, sollte sich daran erinnern, dass Hitler nicht zum Reichskanzler „gewählt“ worden ist, sondern auf Basis eines Drittels der Wählerstimmen von einem monarchistisch gesinnten Staatspräsidenten dazu ernannt wurde – nachdem „antifaschistische“ Kräfte sich vorher in öffentlichen Demonstrationen bis hin zu blutigen Straßenkämpfen mit ihren Gegnern und untereinander beinahe aufgerieben hatten.

Wir müssen aufpassen, dass wir innenpolitisch nicht denselben groben Unfug veranstalten, der außenpolitisch schon seit einiger Zeit wieder praktiziert wird: Krieg, der von den mit politischen Machthabern verbandelten wirtschaftlich Mächtigen geführt wird, begleitet von Verteufelungspropaganda der jeweiligen globalen Gegner. Für die einen sind die anderen die Achse des Bösen, für die anderen sind die einen die faschistischen Kapitalisten. Feindbilder sind unerlässlich, wenn man Krieg führen will. Denen, die global tatsächlich um echte Macht ihre Kriege führen, ist es übrigens – anders als den Gesinnungs-Demonstranten – ziemlich egal, ob man heute mal Verbündete hat, die man morgen zum bösen Gegner erklären muss oder umgekehrt. Den real und global kämpfenden Machthabern geht es kaum um die Gesinnungen, deretwegen die jeweiligen Demonstranten hier auf die Straße gehen.

Innenpolitisch orientieren sich viele der Gesinnungs-Demonstranten heute an der einen oder der anderen Seite der globalen Neu-Orientierung – „kapitalistischer Westen“ oder „globaler Süden“ – und projizieren deren Interessen auf veraltete politische Lager-Einteilungen und vermeintliche Loyalitäten. So finden zum Beispiel (auch und gerade) Linke hierzulande fast keine Kritik an dem Krieg des Kremls, weil da schließlich etwas gegen den US-Imperialismus geschieht, während der Kreml und seine Konsulate auch hierzulande gerne die als rechtsradikal Gebranntmarkten zu sich einladen und mit ihnen kooperieren. Gleichzeitig befeuern z.B. ehemalige Klimaschützer die militärische Aufrüstung inkl. Kriegsführung z.B. in der Ukraine – was CO2-Ausstöße verursacht, die von Windrädern und Solardächern in 500 Jahren nicht kompensiert werden können. Die Welt ist voller Widersprüche, sagte schon Mao Tse-tung. Links-rechts ist nur noch eine Kategorie für Denkfaule.

Eine gute Zukunft wird es nur geben, wenn möglichst viele sich der kriegerischen Zeitenwende nicht anschließen, weder innen- noch außenpolitisch. Wir müssen uns ernsthaft auf den Wert von Demokratie und Frieden besinnen: Sachliche Auseinandersetzung, auch wenn wir nicht jeden überzeugen können. Gewaltfreier Widerstand, auch wenn andere Gewalt ausüben. Nur mit solchen Botschaften UND Praktiken kommen wir „nachhaltig“ weiter. Auch wenn es viel Geduld braucht. Und Mut.

12.01.2025 Alternativen zum Krieg?

Kriege als Mittel der Politik hat es zwar immer gegeben, sie werden seit einiger Zeit aber wieder selbstverständlicher. Die Kriegsbereitschaft steigt nicht nur auf der Ebene der politischen Akteure, sondern leider auch auf der Ebene der sie wählenden Bürger. Dabei sind es nicht einmal die Nicht-Demokratien des globalen Ostens und Südens, die hier mit Aggressionskriegen voran geschritten sind, sondern diese schließen sich allmählich dem Vorbild des demokratischen Westens an, der seit der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts eine kriegerische „Zeitenwende“ eingeleitet hat. Während vorher kriegerische Aktionen oft ohne größere Öffentlichkeit stattfanden oder sogar zu größeren öffentlichen Protesten führten (Vietnam), werden inzwischen die aufeinanderfolgenden Kriege und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete auf westlicher Seite zur Normalität und finden eine mehr oder weniger breite Zustimmung. Das ist eine neue Qualität.

Hier geht es nun nicht um einen weiteren empörten Ruf, sei es zum Beispiel in Richtung Ukraine und ihren Waffenbrüdern (also auch uns), sei es in Richtung Kreml und seinen praktischen und propagandistischen Unterstützern – so berechtigt diese und andere Rufe sein mögen. Sondern man muss sich angesichts der zunehmenden „Normalität“ ernsthaft die Frage stellen: ist Krieg alternativlos? Sind die Kriege, die wir aktuell erleben, wirklich Notwehr-Verteidigungskriege? – was bekanntlich jede Seite für sich mit mehr oder weniger schlechten Argumenten beansprucht, sodass mindestens eine Seite nicht recht haben kann.

Bleiben wir bei dem Beispiel Ukraine: Ja, Staaten, die einst zum Sowjet-Imperium gehörten, haben sich von Russland ab- und dem Westen zugewandt, sodass Russland sich bedroht fühlen mochte – aber es stand kein Angriff von diesen oder anderen Staaten gegen Russland auf der Tagesordnung. Die Ukraine ist auch nicht, entgegen anderslautenden Gerüchten, vor 2022 massiv aufgerüstet worden. Und ja, Russland führt in der Ukraine einen Angriffskrieg – aber die Unterdrückung des Russischen in der Ostukraine, die Verweigerung vertraglich vereinbarter Autonomie-Abstimmungen, also der Anlass zum bewaffneten Separatismus, war völlig unnötig und problemlos vermeidbar.

Die Argumente beider Seiten sind schwach, sofern man ihnen denn Friedenswillen unterstellen will. Und noch schwächer, wenn man das Leben von Menschen als Kriterium nimmt: Es gibt nach drei Jahren Krieg mehrere Hunderttausend Tote, Verwundete, zerstörte Städte. Was wäre passiert, wenn keine Seite sich zu Waffengängen entschlossen hätte? Die übliche Antwort lautet in solchen Fällen: dann hätte es große Unfreiheit und Ungerechtigkeit gegeben. Mag sein. Unterdrückungen der einen oder der anderen Bevölkerungsgruppe aus ethnischen, sozialen, religiösen, nationalistischen Gründen sind leider nichts Besonderes in der Weltgeschichte. Aber es gäbe sicher nicht das Ausmaß an Tod und Zerstörung, welches nun Realität ist. Und das immer nur dann entsteht, wenn eine mehr oder weniger große Minderheit aus einer unterdrückten Gruppe ruft: lieber tot als rot! Patria o muerte! und so weiter – Schlachtrufe dieser Art durchziehen die Menschheitsgeschichte. Im Beispiel waren es abtrünnige ukrainische Militäreinheiten, die mit russischer Rückendeckung den Kampf begonnen haben. Was ist aber in solchen Fällen mit der Freiheit und Gerechtigkeit derjenigen, die diese Schlachtrufe mit ihrem Leben bezahlen, meist ohne gefragt worden zu sein?

Diese Frage muss uns angesichts von Leichenbergen und anderen Zerstörungen Verpflichtung sein, über Alternativen zum Krieg nachzudenken. Weiterführende Gedanken finden sich unter dem Button Genauer betrachtet. Kapitel: Gewaltfreier Widerstand und ziviler Ungehorsam.

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