Demokratie im Detail
Direktere Demokratie
Unter dieser Überschrift werden verschiedene Aspekte behandelt: die direkten Abstimmungsmöglichkeiten in Deutschland, die Gemeinde als eine eigentliche Zelle von Demokratie, die Parteien, die eine zu starke Position entgegen direkterer Demokratie haben, obwohl sie sicher notwendig sind.
Die Abstimmungen
Im Folgenden zeige ich zunächst die unmittelbar direktdemokratischen Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben. Auf Bundesebene ist der Grundgesetzauftrag nach Volksabstimmungen (siehe „Kernthemen_Direktere Demokratie„) bis heute nicht realisiert und wird von keiner politischen Kraft maßgeblich vorangetrieben.
Auf Landesebene gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, zu manchen Themen Abstimmungen durchzuführen.
Quelle: https://www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/351995/
Länderspezifischen Regelungen der Volksentscheide und Volksbegehren EG= einfache Gesetzesänderung, VÄ = Verfassungsänderungen; A= Unterschriften werden auf dem Amt gesammelt; F= Unterschriften werden frei gesammelt; *Zustimmungsquorum = Mindestanteil der stimmberechtigten Bevölkerung muss teilnehmen; **Initiative statt Zulassung = statt einer Mindestanzahl an Unterschriften wird der Antrag des Volksbegehrens vom Landtag geprüft; ***kein Quorum = in Sachsen-Anhalt entfällt das Zustimmungsquorum, wenn vom Parlament eine Konkurrenzvorlage zur Abstimmung gestellt wird.
In den Gemeinden gelten in den einzelnen Bundesländern, die dies zentral für ihre Gemeinden bestimmen, folgende Regelungen
Diese Abstimmungsmöglichkeiten werden auch genutzt: 1990 – 2012 gab es 6.345 Bürgerbegehren, davon wurden 2.767 zu Bürgerentscheiden, davon waren 1.444 erfolgreich.
Natürlich ist es die Angelegenheit der jeweiligen Ebenen, ihre Regelungen selbst zu bestimmen. Aber wer hat diese Regelungen tatsächlich beschlossen? Das geschah nicht auf direktem, sondern auf „repräsentativem“ Weg in den Landesparlamenten. Konsequent wäre es, die jeweiligen Abstimmungseinheiten (Gemeinde, Landkreis, Land) einmal direkt darüber abstimmen zu lassen, über welche Themen sie in Zukunft auf welche Weise direkt abstimmen können möchten. Dabei sollte es folgende Abstimmungsoptionen geben: 1. nach einem erfolgreichen Zulassungsquorum für eine Initiative gibt es kein Zustimmungsquorum mehr bei ihrer Durchführung; 2. die Abstimmungsgegenstände dürfen dieselben sein wie die, die auf der repräsentativen Ebene gegeben sind.
Über diese beiden Optionen sollte auch auf Bundesebene abgestimmt werden dürfen, um dort endlich den Grundgesetzauftrag Art. 23 einzulösen, dass alle Staatsgewalt auch durch Volksabstimmungen ausgeübt werde.
Die Gemeinde
Ebenfalls zum Thema direktere Demokratie gehört die Gemeinde, bzw. die Gemeindeautonomie, die eigentliche Basis demokratischer Ordnung. Die Gemeindeautonomie funktioniert heute nicht (mehr) überall so überschaubar und direkt wie man das hier bei der kantonalen Landsgemeinde in Glarus, Schweiz, sieht.
Im Folgenden ist auch nicht von Ländern wie China oder Indien die Rede, in denen es unzählige Städte gibt, die jeweils mehr Einwohner haben als ganz Portugal und auch nicht von Staaten auf anderen Kontinenten, in denen es vielleicht gar keine Traditionen städtischer Gemeindeautonomie gibt, siehe hierzu den Zwischenruf vom 02.06.2024.
Wie sich dort demokratische Aufgaben im föderalen Sinn stellen, ist hier nicht das Thema. Im Folgenden geht es um unser Land Deutschland, vielleicht noch mit Blick auf europäische Nachbarn, wo es Gemeindestrukturen und Landkreise gibt, die als politische Einheiten definiert sind und als solche mehr oder weniger gut funktionieren. Es geht um die Frage, ob oder wie sie besser funktionieren könnten.
Die Gemeinden mit ihrer Selbstverwaltung blicken in Deutschland in modernerer Zeit auf eine 200jährige Geschichte zurück. Wenn man noch die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches „Deutscher Nation“ (962–1806) hinzunimmt, dann sieht man eine große und wechselvolle Vielfalt von kommunalen Selbständigkeiten. Allein in den wenigen Jahrhunderten des hohen Mittelalters wurden in Deutschland nahezu 3.000 Städte gegründet, die zu einem großen Teil politisch relativ selbständig waren. Heute gibt es in Deutschland – dank Eingemeindungen – noch ca. 2.000 Städte und insgesamt (Stand 2016) 11.059 Gemeinden, 294 Landkreise und 107 kreisfreie Städte. 40 Jahre vorher hatte es noch 24.438 Gemeinden gegeben.
Anders als z. B. in Großbritannien und Schweden haben die Gemeinden in Deutschland heute keine getrennte Verwaltungsstruktur (mehr) neben der staatlichen Verwaltung, sondern sind in diese eingebunden und damit zugleich – wie die Bundesländer – auch Ausführungsorgane der übergeordneten staatlichen Entscheidungsebenen. Wie funktioniert die innere Demokratie in den Gemeinden?
Die Gemeindeordnungen sind in den Bundesländern nicht einheitlich, sondern zwischen den Bundesländern unterschiedlich. Ausgangspunkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren Einflüsse der Amerikaner, die stärker auf direktdemokratische Elemente setzten, und der Briten, die starke Kommunalparlamente bevorzugten, mit einem eher nur ausführenden Verwaltungsleiter. Diese Unterschiede sind bis heute im amerikanisch geprägten Süden und im britisch geprägten Norden unseres Landes spürbar, obwohl mit Reformen in den 1990er Jahren eine stärkere Vereinheitlichung stattgefunden hat. Seitdem gibt es überall direkt gewählte Bürgermeister, die zugleich die Funktion eines Verwaltungschefs ausüben. Darunter gibt es die professionelle und nicht gewählte Verwaltungsebene und den gewählten Rat, der kein Parlament im legislativen Sinn ist, sondern ein politisches Entscheidungsgremium zu Sachfragen. Unterschiede gibt es weiterhin: In Süddeutschland ist der Bürgermeister nicht nur Verwaltungschef, sondern auch Ratsvorsitzender und hat damit größere Befugnisse als der Bürgermeister in Norddeutschland sowie in Hessen, wo der Rat ein stärkeres Gewicht gegenüber dem Bürgermeister hat.
Die Ratsmitglieder sind keine Berufspolitiker, sondern bekommen für ihre zeitweilige Arbeit sehr überschaubare Aufwandsentschädigungen. Teilweise können sie von ihren beruflichen Aufgaben freigestellt werden, was auch dazu führt, dass sich die Gemeinderäte überproportional aus Selbständigen, leitenden Angestellten aus der Privatwirtschaft, Beamten und öffentlichen Angestellten sowie Rentnern zusammensetzen.
Die Parteibindung von Ratsmitgliedern und Bürgermeistern ist weniger deutlich ausgeprägt als auf den übergeordneten staatlichen Ebenen Land und Bund. Aber auch hier gibt es Unterschiede, von Nordrhein-Westfalen mit den stärksten Parteibindungen bis Baden-Württemberg mit den geringsten. Auf der Gemeindeebene spielen fast überall zunehmend freie Wählervereinigungen und auch direkte Bürgerbeteiligungen eine Rolle. Welche Kompetenzen haben die Gemeinden überhaupt? Rudzio (siehe Bibliothek) fasst es in seinem Standardwerk so zusammen: «Die Gemeinden und Kreise sind nur Hintersassen der Bundesländer.»
Über die Kommunalverfassungen entscheiden nicht die Gemeinden selbst, sondern die Landesparlamente. Die Kommunen dürfen über ihre Einrichtungen wie Schulbauten, Verkehrsbetriebe, Kultureinrichtungen, Gemeindestrassen, Bebauungspläne, Landschaftsschutz, Abfallbeseitigung usw. entscheiden. Darüber hinaus sind sie Ausführungsorgane für die von Land und Bund beschlossenen Gesetze zur Sozialhilfe, Jugendhilfe, Wohngeld, Immissionsschutz, Lebensmittelrecht usw. Diese «übertragenen Aufgaben» machen 75–90 % der kommunalen Verwaltungstätigkeit aus.
In zunehmendem Maß sind viele der kommunalen Aufgaben in der Vergangenheit an ausgelagerte autonome Einheiten oder an private Unternehmen übergeben worden. Das hat gemäß einer Umfrage von 2005 etwa 15–20 % der kommunalen Aufgaben betroffen, bis hin zur Privatisierung von ganzen Wasserwerken. Allerdings hat hier vor allem dank verschiedener Bürgerentscheide teilweise wieder eine Rekommunalisierung stattgefunden.
Entscheidend ist die Frage der finanziellen Autonomie der Gemeinden. Eigene Mittel erhält die Gemeinde vor allem aus der Gewerbesteuer, der Grundsteuer und den Gebühren für ihre Leistungen, wobei diese maximal kostendeckend sein, also keinen Gewinn erwirtschaften dürfen. Diese Einnahmen zusammen decken weit weniger als die Hälfte des Haushaltes. Der «Rest» wird aus Zuweisungen von der höheren staatlichen Ebene zugeteilt. Der nahezu einzige eigene Hebel, den die Gemeinden selbst beeinflussen können, ist also die Gewerbesteuer, was dazu führt, dass eine kostenmindernde Konkurrenz um Gewerbeansiedlungen zwischen den Gemeinden stattfindet und in strukturschwachen Gebieten, vor allem im Osten, die Abhängigkeit vom Staat noch grösser ist.
Der ständige Kampf der Gemeinden gegen die Verschuldung, die aus einem strukturellen Missverhältnis zwischen Aufgabenzuweisung und Finanzierung resultiert, ist keine gute Einladung für die Bürger zum persönlichen Engagement. Manchmal kommt auch noch selbstverschuldete Misswirtschaft oder Korruption des gewählten oder des professionellen Personals hinzu. Trotzdem gibt es keine Alternative zum zivilgesellschaftlichen Engagement unter Nutzung der institutionalisierten Möglichkeiten.
Die Parteien
Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, das ist ihre grundgesetzliche Funktion; nicht mehr und nicht weniger (Art. 21 GG). Faktisch finden aber praktisch keine nennenswerten Entscheidungen auf Bundes- und auf Landesebene statt, ohne dass dies durch den Filter von Parteigremien gegangen wäre. Das gilt sowohl legislativ als auch exekutiv. Vielfach werden auch wichtige öffentliche Ämter, Verwaltungsstellen, sogar Richterposten nach parteipolitischen Kräfteverhältnissen vergeben. Das ist so im Grundgesetz nicht vorgesehen. Und es bewirkt eine Behinderung direkterer, an der jeweiligen Sache orientierter Entscheidungsvorgänge.
Denn leider hat man den Parteien im Lauf der bundesrepublikanischen Geschichte das Recht auf eine fast ausschließliche Repräsentation des Bürgerwillens zugestanden. Maßgeblich beteiligt war der Carl-Schmitt-Schüler Gerhard Leibholz, der 20 Jahre lang am Bundesverfassungsgericht durch seine Urteile die deutsche Demokratie von einer Bürger-Souveränität in Richtung eines Parteien-Repräsentationssystems gelenkt hat. Hierzu Prof. Schachtschneider „Die nationale Option“ (siehe Bibliothek):
„Man sollte den Begriff der Repräsentation nicht verkennen. Die überwiegende Staatsrechtslehre spricht bezeichnenderweise nicht von der „Vertretung des ganzen Volkes“, wie das im Grundgesetz in Art. 38 steht, sondern von der Repräsentation, die kaum einer so ganz versteht. Das Grundgesetz kennt den Begriff der Repräsentation nicht. Er wurde von Carl Schmitt und dessen Schüler Gerhard Leibholz in die Verfassungsrechtslehre der Demokratie eingeführt. Carl Schmitt hat seine Repräsentationslehre der katholischen abgeschaut, wonach die Kirche und/oder der Papst das Unsichtbare, nämlich Gott, sichtbar machen, Die Repräsentanten des Staates würden das ebenso unsichtbare Volk als politischer Einheit sichtbar machen… Den Bürger als Politiker kennt Carl Schmitt nicht.“ (S. 72)
Gerhard Leibholz, ein Schüler von Carl Schmitt, war in der frühen Bundesrepublik 20 Jahre lang als Bundesverfassungsrichter maßgeblich daran beteiligt, mit dieser Sichtweise „den vom Grundgesetz verfassten Bürgerstaat in einen Parteienstaat zu verwandeln“ (S. 73), was dazu geführt hat:
„Die Parteien sind im Wahlrecht privilegiert, das Fraktionswesen des Parlamentsrechts ist auf die Parteien ausgerichtet, sie werden weitgehend vom Staat finanziert, ihnen mangelt die innere Demokratie, …sie betreiben strafbar Ämterpatronage, sie unterlaufen die Gewaltenteilung, sie verbünden sich mit den Mächtigen in der Wirtschaft und in den Medien…“ (S. 68 f) und so weiter.
Aus berufenem Munde erfahren wir hier also, dass die Bundesrepublik als Parteienstaat maßgeblich das Werk eines Verfassungsrichters sei und dass dabei nicht das Grundgesetz, sondern der Jurist Carl Schmitt Pate gestanden habe, dessen Kariere bekanntlich nicht mit demokratischen Verdiensten geschmückt ist. Zweifellos ist die Geschichte bei genauerer Betrachtung komplexer, aber es bleibt die Erkenntnis, dass es sich bei dieser „Weiterentwicklung“ des Grundgesetzwillens um ein Menschenwerk handelt, das auf relativ einsamen richterlichen Entscheidungen fußt und keineswegs so hätte geschehen müssen.
Natürlich soll nicht bestritten werden, dass Parteien historisch und funktional eine wichtige Rolle in der Geschichte gespielt haben und auch noch spielen mögen. Es handelt sich um kollektive Interessenvertretungen innerhalb eines Gemeinwesens, die in mehr oder weniger zivilisierter Form gegeneinander auftreten und – im besten Fall – Kompromisslösungen zwischen konkurrierenden Interessen finden. Es handelt sich um gesellschaftliche Lobbygruppen, die – anders als man sonst Lobbyarbeit versteht – öffentlich agieren und sich um Einfluss in der Legislative und in der Exekutive bemühen.
In der Geschichte haben sich sozial schwache Gruppen dadurch viele Stärkungen errungen, Gewerbetreibende haben sich Freiheiten errungen, die von anderen Interessengruppen, welche unter diesen Freiheiten leiden mussten, wieder beschnitten wurden. Parteien sind mit dem Anspruch des Umweltschutzes oder aus nationalem Stolz oder anderen Motiven heraus gegründet worden, die kein spezifisches Merkmal einer bestimmten Berufsgruppe sind, sondern den politischen Willen zu einer bestimmten Sache in den Vordergrund stellen. Nicht selten treten Parteien mit dem Anspruch auf, besser als alle anderen für das Gemeinwohl einzutreten, wofür eine Zeit lang der Begriff „Volkspartei“ modern war.
Dieser Begriff ist natürlich ein Widerspruch in sich selbst, denn der Begriff Partei kommt aus dem Lateinischen von pars = Teil. Eine Partei vertritt definitionsgemäß ein Teilinteresse, nicht das Ganze. Das gute Ganze kann in diesem Sinne nur durch den Ausgleich zwischen den Teilen entstehen. Insofern können Parteien als notwendiger Bestandteil demokratischer Vorgänge sehr hilfreich sein. Seit geraumer Zeit beobachten wir allerdings, dass die meisten unserer Parteien sich zwar nicht mehr Volksparteien nennen, aber zunehmend mit einem Selbstverständnis auftreten als wäre der Gemeinschaft am besten gedient, wenn sie allein das Sagen hätten.
Betrachtet man die historische Herkunft unserer aktuellen Parteien, so fällt auf, dass es heute vor allem darum geht, mit Bezug auf die historische Herkunft der Partei und ihr entsprechendes Image ein Stammwählerreservoir zu halten. Das muss nicht allzu deutlich mit den Politikinhalten korrespondieren, die man dann in Regierungs- oder auch nur Gesetzgebungsverantwortung praktiziert. Man bekommt den Eindruck, als handele es sich bei den Parteien heute eher um Firmen, die alle sehr ähnliche Ziele verfolgen, nämlich Arbeitsplätze für Berufspolitiker zu schaffen. Sie verfolgen dabei verschiedene Akquisitionsmodelle, je nach Parteifarbe, weil die Kundschaft, sorry: die Wählerschaft, eben verschiedene Geschmäcker hat.
Aber nein, natürlich gibt es viele ehrliche Menschen unter den Parteimitgliedern, vor allem an der Basis. Fraglich nur, ob diese Ehrlichkeit ein Karrierevorteil ist. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: zum Thema Parteien gehört auch, dass unser politisches System in diesem Zusammenhang sich ziemlich vorbildlich um demokratische Gerechtigkeit bemüht hat: ich meine das Wahlsystem.
Während in anderen Ländern mit Mehrheitswahlrecht viel demokratischer Wille der Bürger auf der Strecke bleibt (the winner takes it all), gibt es bei uns ein Proporzsystem, das es auch kleineren Parteien, also theoretisch kleineren Interessengruppen, erlaubt, in den Parlamenten vertreten zu sein. Das ist gut so. Und man hat parallel ein Persönlichkeitswahlsystem, um eine Art Parteiunabhängigkeit zu betonen. Auch das ist gut so. Das doppelte Wahlsystem mit 2 Stimmen führt in seiner Gerechtigkeitskonsequenz leider dazu, dass durch Ausgleichsmandate das Parlament immer größer wird – das ist weniger gut so.
Die Wahlrechtsreform 2023
Der Verein Mehr Demokratie e.V. hat 2012 beim Bundesverfassungsgericht gegen gewisse Widersprüchlichkeiten in unserem Wahlsystem geklagt und erreicht, dass das Wahlgesetz angepasst werden muss. Die Politiker verbinden diese Aufgabe zugleich mit der Absicht, die Zahl der Abgeordneten, die durch Ausgleichs- und Überhangmandate immer größer geworden ist, zu reduzieren.
Grundsätzlich folgt unser Wahlsystem der guten Idee, jeden Wahlkreis mit einer natürlichen Person zu vertreten, zugleich aber durch dieses Mehrheitswahlsystem entstehende Ungerechtigkeiten hinsichtlich des Parteienproporzes durch eine Zweitstimme zu korrigieren. Dadurch sind mit der wachsenden Anzahl der Parteien im Bundestag immer mehr Abgeordnete entstanden, weil die kleineren Parteien kaum angemessen Wahlkreissieger hervorbringen, was zum Anwachsen der Ausgleichsmandate geführt hat.
Im ersten Schritt hatte man zunächst beschlossen, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu verringern und nicht alle Überhangmandate auszugleichen, sondern dies erst ab dem dritten zu tun. Das war ein Schritt in die falsche Richtung, der schwammig willkürlich war und wird wenig bewirken würde. Die Parlamentsentscheidung vom 17.03.2023 kassiert diesen Beschluss wieder und geht statt dessen größere Schritte in die falsche Richtung: Es wird ein vorrangiges Verhältniswahlrecht eingeführt, das durch eine Personenwahl unvollständig ergänzt wird. Erststimmensieger (Personen) können gestrichen werden, wenn sie zu stark von den Zweitstimmen (Partei) abweichen. Bis zu 330 (statt 299) Abgeordnete können von den Parteilisten ergänzt werden, um Erststimmenüberhänge auszugleichen. Falls das nicht reicht, werden die Erststimmensieger mit den schlechtesten Prozentzahlen gestrichen; nicht jeder Wahlkreis würde dann einen persönlich gewählten Vertreter haben!
Außerdem hat man beschlossen, eine Partei nicht entsprechend dem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag zu lassen, wenn sie bundesweit nicht 5 % der Stimmen erreicht, und zwar auch dann nicht, wenn sie beliebig viele Direktkandidaten in den Bundestag bringt. Das kann man zwar demokratisch vertreten (denn die über 40 direkt gewählten CSU-Abgeordneten – zum Beispiel – können ja trotzdem eine Fraktion bilden), man könnte aber auch die 5 % Klausel herabsetzen, denn es ist demokratisch kaum zu vertreten, dass Millionen Stimmen unbeachtet bleiben.
Gar nicht vertreten kann man dagegen, dass manche Wahlkreise ohne persönlichen Abgeordneten bleiben, während die meisten anderen Wahlkreise einen solchen haben. Bei der Bundestagswahl 2021 wären damit über 20 Wahlkreise nicht mit einem persönlichen Wahlsieger vertreten gewesen. Die Erststimmenwahl in diesen Wahlkreisen hätte ebensogut unterbleiben können, aber man wusste vorher ja nicht, welchen Wahlkreis das treffen würde…Das ist wie russisches Roulette und wäre keine gleiche Wahl mehr, wie das Grundgesetz, Artikel 38, sie fordert. Wo bleibt die Gleichheit, wenn viele Wahlkreise einen persönlichen Abgeordneten haben, manche aber nicht? Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dies erkennt.
Reformvorschlag zur Wahlrechtsreform
Die Grundidee, dass jeder Wahlkreis einen persönlichen Abgeordneten hat, eben den Wahlsieger, und dass außerdem der Parteienproporz richtig abgebildet wird ohne dass ein Übermaß an Abgeordneten entsteht, ist relativ einfach zu realisieren, wenn man denn will. Dazu sind zwei Punkte notwendig: Erstens müssen nicht alle Wahlkreise mit einer Zweitstimme vertreten sein; denn diese ist – zu Recht! – nur dazu da, die mangelhafte Repräsentation des Erststimmen-Mehrheitswahlrechts auszugleichen. Zweitens müssen die Erststimmen bei einer Bundestagswahl nicht nach Bundesländern getrennt durch Zweitstimmen ausgeglichen werden, sondern nur einmal bundesweit. Damit würden sich Ungleichgewichte in verschiedenen Regionen bereits automatisch teilweise ausgleichen.
Beide Punkte sind demokratisch und grundgesetzlich völlig unbedenklich, denn die Zweitstimme bezieht sich nicht auf eine Person, sondern auf eine Partei; es besteht kein persönlicher Anspruch. Eine bundesweite (nicht landesweite) Parteilistenführung ist deswegen gerecht, weil es sich um eine Bundestagswahl handelt; jeder Abgeordnete hat das ganze deutsche Volk, nicht sein „Landesvolk“ zu vertreten. Für Landesinteressen auf Bundesebene gibt es den Bundesrat. (Davon abgesehen hat der Abgeordnete sowieso nicht seine Partei, sondern eben das ganze Volk zu vertreten, ist an keinerlei Weisung gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen.) Wie die Landesparteien sich auf eine Bundesliste einigen, ist deren Aufgabe. Das gilt auch für CDU/CSU, die ohne weiteres ein Listenbündnis eingehen kann. Mit diesem System wird die Persönlichkeitswahl für jeden Wahlkreis gewahrt, das Parteienverhältnis als „Minderheitenschutz“ ebenfalls, und die Zahl der Abgeordneten wird reduziert. Die Persönlichkeitswahl für jeden Wahlkreis darf schon deswegen nicht angetastet oder relativiert werden, weil damit auch parteilose Personen eine Chance zum Wahlsieg behalten.
Die gute Idee einer Kombination von Mehrheits-(Personen)-wahl und Verhältnis-(Parteien)-wahl wäre damit realisiert bei gleichzeitig deutlicher Reduktion der Abgeordnetenzahl auf weniger als 2 x die Wahlkreisanzahl. Selbstverständlich können – wie bisher – auch parteilose Abgeordnete in den Bundestag gewählt werden, auch wenn das bisher noch nicht nicht vorgekommen ist. Einer hat bei der Wahl 2021 immerhin 9 % der Stimmen seines Wahlkreises geholt.
Bezieht man diesen Reformvorschlag auf die Bundestagswahl 2021, so ergibt sich folgendes Bild:
Partei | Partei-ergebnis 2021 in % | Anzahl Direkt-mandate 2021 | % Anteil der Direkt-mandate | Plus Sitze von den Bundeslisten | Summe Sitze | Zahl der Sitze in % stimmt mit dem Wahlergebnis der Parteien überein |
CDU/ CSU | 24,1 | 143 | 48 | 0 | = 143 | 26,5 |
SPD | 25,7 | 121 | 40 | + 31 | = 152 | 28,0 |
AfD | 10,3 | 16 | 5,5 | + 45 | = 61 | 11,3 |
FDP | 11,5 | 0 | 0 | + 68 | = 68 | 12,5 |
Linke | 4,9 | 3 | 1 | + 26 | = 29 | 5,5 |
Grüne | 14,8 | 16 | 5,5 | + 72 | = 88 | 16,2 |
sonstige | 8,7 | 0 | 0 | 0 | 0 | verteilt auf die anderen |
Summe | 100 | 299 | 100 | + 242 | = 541 | 100 |
Für den Fall, dass z.B. CDU und CSU keine Bundesliste eingehen wollen, wäre auch eine bundesweite 3 %- Hürde angemessen. Diese könnte auch eine weitere Ungerechtigkeit, nämlich die Nichtbeachtung von mehreren Millionen Stimmen, mindern.
parteilose Volksvertretung
Die Erststimmenkandidaten sind heute fast ausschließlich Parteikandidaten, abgesichert auf ihren Landeslisten für die Zweitstimme. Sie kommen auf jeden Fall ins Parlament, wenn die Partei ins Parlament kommt. (Zumindest war das so bis zu dem gleichheitswidrigen Bundestagsentscheid vom 17.03.2023.) Es ist übrigens keine echte Persönlichkeitswahl, denn die Aufstellung der Kandidaten geschieht durch die Parteien. Es gibt Initiativen für die Aufstellung von parteiunabhängigen Bürgerkandidaten. Unser Wahlgesetz lässt das sogar ziemlich einfach zu: Ein Kandidat braucht dafür 200 Unterschriften aus seinem Wahlkreis. Dafür bekommt er aber keinerlei öffentliche Unterstützung, während die Parteien massive öffentliche Unterstützung genießen durch öffentliche Finanzierung, Privilegierung in den Parlamenten durch einen Fraktionsstatus, Bevorzugung bei der Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter usw. Die Parteien finanzieren sich nicht nur durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Sie bekommen für jeden Euro Beitrag oder Spende zusätzlich 0,38 Euro vom Staat. Sofern sie bei Wahlen mindestens 0,5 % der Stimmen erreichen, erhalten sie pro Stimme 0,70 Euro vom Staat. Die Parteien müssen ihre Einnahmen offenlegen, was zumindest teilweise auch geschieht; schließlich gibt es ja zusätzliches Geld aus Steuermitteln dafür! Das alles sind Privilegien, von denen das Grundgesetz nichts weiß. Von einem «Fraktionszwang» weiß es schon gar nichts; diesen gibt es nicht (Art. 38 GG), auch wenn die meisten Abgeordneten sich aus Karrieregründen so verhalten, als gäbe es ihn.
Parteiunabhängige Direktkandidaten hat es zwar immer wieder gegeben; gewählt wurde seit 1950 aber niemand. Bei der Bundestagswahl 2017 hat der erfolgreichste parteiunabhängige Direktkandidat – immerhin – 9 % der Stimmen seines Wahlkreises bekommen. Andere blieben unter 1 %.
Warum müssen den Parteien auf die Mitgliedsbeiträge und Spenden noch Steuergelder draufgelegt werden? Ja, ohne die Steuergelder wären die Parteien ärmer. Vielleicht könnten sie dann bei Wahlkämpfen nicht quadratkilometerweise nichtssagende Plakate verkleben und ebensolche Werbespots in Fernsehen und Rundfunk platzieren. Die Welt wäre dadurch nicht ärmer. Warum soll man solche Verschwendung nicht finanziell austrocknen oder einfach verbieten? Tabakreklame konnte ja auch verboten werden. Mit dem gesparten Geld könnte der Staat das unterstützen, was unser Wahlrecht eigentlich will: eine Persönlichkeitswahl von Abgeordneten, die ein Gewissen haben, daneben gerne einen Ausgleich wegen der Ungerechtigkeit des reinen Mehrheitsprinzips. Man könnte in jedem Wahlkreis zumindest zeitweise ein Büro einrichten, in dem vor allem parteiunabhängige oder generell Erststimmen-Kandidaten, die eine Mindestunterstützerzahl nachweisen können, sich persönlich präsentieren, dem Mitbürger und Wähler Rede und Antwort stehen. Man könnte eine offizielle bundesweite digitale Plattform einrichten, auf der diese Kandidaten sich und ihre politischen Vorstellungen für jedermann sichtbar darstellen können.
Man könnte auch verbieten, dass Direktkandidaten auf einer Parteiliste abgesichert sind; für den Parteierfolg gibt es ja die Zweitstimme. Die Persönlichkeit soll überzeugen, nicht die Zelle eines Parteikörpers. Natürlich können dann immer noch Parteikandidaten mit der Erststimme gewählt werden und damit das Gewicht der größeren Parteien stärken. Aber vielleicht bewerben sich dann auch gar nicht so viele Parteikandidaten direkt, weil sie eben über die Parteiliste ins Parlament kommen wollen – und geben so parteiunabhängigen Bewerbern mehr Chancen. Jedenfalls bestünde die Chance, dass bei staatlicher Unterstützung auch der Erststimmenkandidaten (unabhängig von Parteizugehörigkeit) und bei gleichzeitiger Reduktion der Steuermittel für die Parteien, mehr Bürger gewählt werden würden, die unabhängig von Karriereplänen für eine bestimmte Sache engagiert sind. Diese müssten nicht zwingend die Ochsentour durch eine Partei auf sich nehmen, bei der ihre einstige Sachorientierung oft auf der Strecke bleibt oder parteipolitisch «geradegebogen» wird.
Weitere Vorschläge: In den Parlamenten darf es keine Fraktionsprivilegierung geben. Jeder einzelne Abgeordnete muss gleichen Zugang zu allen Informationen und Entscheidungsebenen haben. Und: Die willkürliche 5 %-Klausel sollte gesenkt werden. Millionen Stimmen für kleinere Parteien gehen damit verloren. Ein Erststimmenkandidat vertritt etwa 200 000 Bürger seines Wahlkreises. Nimmt man diese Zahl als Maßstab, wäre eher eine 0,5 % Klausel demokratisch gerecht. Die «praktische Wahrheit» mag dazwischen liegen. Das Parlament muss wieder der Ort der Debatten über die Gesetzgebung im Interesse des Gemeinwohls werden, unter Berücksichtigung möglichst vieler Stimmen aus der Bürgerschaft. Vieles steht dagegen, aber sicher nicht das Grundgesetz.
Es bleibt der Grundgedanke: Institutionelle Strukturen, die eine Beteiligung der Bürger am politischen Leben erleichtern, werden diese Beteiligung auch befördern. Und eine direktere Beteiligung der Bürger am politischen Leben wird Tendenzen bei den politischen Akteuren, die sich nicht am Gemeinwohl und der ehrlichen Vermittlung verschiedener Interessen orientieren, erschweren. Das ist eine Perspektive für eine direktere Demokratie.
Bürgerräte
Seit einigen Jahren hört man immer öfter von Bürgerräten als einer neuen Möglichkeit für demokratisches Leben. Vorbild war eine Initiative in Irland, bei der auf diesem Weg Entscheidungen zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zum Abtreibungsverbot vorbereitet wurden. In Deutschland ist vor allem der Verein Mehr Demokratie e.V. aktiv in Sachen Bürgerräte und hat 2019 dazu eine erste Veranstaltung lanciert. 160 Bürger wurden aus Melderegistern zufällig ausgewählt und haben Empfehlungen zur Stärkung der Demokratie erarbeitet. Die Auswahl soll soziologisch repräsentativ gewesen sein hinsichtlich Alter, Geschlecht, Beruf, Bildung etc., was bei der Bezugsquelle Melderegister allerdings Fragen hinsichtlich ausreichender Vollständigkeit oder aber des Datenschutzes aufkommen lässt.
Hintergrund für die Initiative des Vereins war die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der letzten von Kanzlerin Merkel geführten Regierung aus dem Jahr 2018, dass eine Expertenkommission zum Thema Stärkung der Demokratie eingerichtet werden sollte. Damit war zunächst die Hoffnung verbunden, dass diese Kommission endlich nach 70 Jahren den Grundgesetzauftrag (Art. 20,2 GG) zur Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene gesetzlich umsetzt. Diese Kommission wurde jedoch gar nicht eingerichtet, sondern stattdessen wurde unter der Schirmherrschaft des Bundestagspräsidenten der genannte Bürgerrat einberufen. Seitdem wurden weitere Bürgerräte gebildet, zum Beispiel zum Thema Klimaschutz. Auch in Frankreich, Großbritannien und in anderen europäischen Ländern geschieht dies ebenfalls seit 2020, zum Teil mit öffentlicher Unterstützung durch höchste politische Ebenen, in Frankreich durch Präsident Macron persönlich.
Der Verein Mehr Demokratie e.V., der sich seit Jahrzehnten für die Durchsetzung der direkten Demokratie durch Volksabstimmungen auf Bundesebene eingesetzt hatte, sieht Bürgerräte inzwischen als sinnvolle Ergänzung zu direkten Abstimmungen – für die der Verein sich nun aber offenbar nicht mehr so stark einsetzt wie für Bürgerräte auf allen Ebenen: lokal, regional, national, EU-weit. Für die Einberufung eines Bürgerrates braucht es eine Vorbereitungsgruppe, die das Thema festlegt und die ganze Sache organisiert, auch indem den ausgelosten Bürgern echte Experten als Berater zur Seite gestellt werden; dieses „Organisatorische“ erledigt eine Arbeitsgruppe im Verein Mehr Demokratie, unterstützt von einigen privaten Stiftungen. Am Ende gibt es eine Empfehlung an ein zuständiges Parlament (Land, Bund, EU) oder einen zuständigen Gemeinderat, der dann ggf. über die Empfehlungen zu entscheiden hat, siehe dazu diese Kurzbeschreibung: https://www.buergerrat.de/wissen/wie-funktioniert-ein-buergerrat/
Man könnte das Ganze also als eine Art Petitions-Kollektiv bezeichnen mit zufällig ausgelosten Teilnehmern, die von einer selbsternannten Vorbereitungsgruppe ein Thema vorgesetzt bekommen, selbst aber keine Entscheidungskompetenz haben; letzteres ist selbstverständlich zu begrüßen, denn eine solche Arbeitsgruppe hat ja keinerlei demokratische Legitimation. Es ist eine Art pressure group von privat unterstützten politischen Organisationen (Mehr Demokratie e.V. und andere); diese sind Initiatoren und legen den Inhalt der Kampagnen fest. Inzwischen gibt es seit 2022 im Deutschen Bundestag ernsthafte Bestrebungen, dieses „Format“ Bürgerrat langfristig zu etablieren, um die Demokratie zu stärken. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw47-forum-w-buergerraete-918446
Man fragt sich, warum diese Bürgerräte so viel Wohlwollen und Unterstützung seitens der hohen Politik bekommen (Präsidentinnen des Deutschen Bundestages, Staatspräsident Frankreichs), während der Grundgesetzauftrag nach Volksabstimmungen offenbar auf ein historisches Abstellgleis geschoben wurde. Mit dem Bürgerrat schaffen sich politisch interessierte Gruppen ein Format, um Bürgerbeteiligung für ihre Anliegen zu demonstrieren. Ist das nicht ein allmähliches Unterlaufen demokratischer Strukturen durch parallele Meinungsbildungskampagnen, denen ein demokratischer Anschein gegeben wird, da hier sogenannt normale Bürger zu Expertisen aufgefordert und von hohen Mandatsträgern dafür gelobt werden? Das passt zu dem Trend, dass in zunehmendem Maß auch diverse andere „Nicht“regierungsorganisationen mit verschiedenen Aktionen und Formaten die öffentliche Agenda prägen. Die Themen der Bürgerräte in verschiedenen europäischen Ländern (auch Belgien, Luxemburg, Finnland, Österreich, Montenegro, Spanien, Dänemark und andere) sind hauptsächlich Klimawandel, Biodiversität, Geschlechtergerechtigkeit etc. aber auch ein paar andere. Es handelt sich um eine koordinierte politische Bewegung, die wohl kaum zufällig fast gleichzeitig in vielen europäischen Ländern mit oft ähnlichen Themen auftritt. Genauer zu recherchieren, welches die aktiven Akteure sind, wäre eine interessante Aufgabe.
Aber an dieser Stelle genügt der Hinweis: Wer ernsthaftes Interesse an direkter Demokratie hat, müsste umgekehrte Prioritäten setzen: Volksabstimmungen statt Bürgerräte! Man müsste dazu noch nicht einmal ein fanatischer Direktdemokrat oder ein Gegner repräsentativer Demokratie sein, sondern nur ein nüchterner Freund des Grundgesetzes. Man könnte sogar fragen, warum kluge Juristen nicht schon längst eine Verfassungsklage gegen den Bundestag erhoben haben wegen Unterlassung der Realisierung eines Grundgesetzauftrages. In Sachen Wahlrechtsreform und zu anderen Themen wird der Bundestag ja auch vom Verfassungsgericht zum gesetzgeberischen Handeln verpflichtet.
Statt dessen schreitet die Bewegung voran, die an Parlamenten und Volksabstimmungen vorbei Politik machen will. Die „Klimaschutz“bewegung fordert nun inzwischen die Einrichtung eines Gesellschaftsrates, um die Klimaziele endlich voranzutreiben, die in der bisherigen Politik nicht radikal genug realisiert wurden. Ein solcher von „Klimaexperten“ einberufene und fachlich betreute „Gesellschaftsrat“ (die Neue Zürcher Zeitung sprach hier von „Betreutem Denken“) soll dann nicht nur Empfehlungen abgeben, sondern sein Wille sei Gesetz. Für diesen offensichtlich diktatorisch motivierten Vorschlag stand sogar schon das öffentlich-rechtliche Fernsehen propagandistisch zur Verfügung („Hart aber fair“ im Februar 2023).
Wenn es für Volksabstimmungen auf allen Ebenen entsprechend niederschwellige Angebote und inhaltlich umfangreiche Kompetenzen gäbe, bräuchte man zwar auch Vorbereitungsgruppen, die dann allerdings nicht nur 160 Bürger auswählen. Sondern Bürgergruppen oder auch Vereine oder Parteien könnten die Initiative ergreifen zu den Themen, die ihnen wichtig sind – und zu denen nicht nur 160 ausgewählte Bürger, sondern alle Bürger zur Abstimmung aufgefordert werden, die dann selbst entscheiden, ob sie teilnehmen wollen. Das wäre konsequente und grundgesetzkonforme Demokratie. Ja, das ist aufwändiger. Demokratie ist schön, macht aber mehr Arbeit als eindimensionaler Lobbyismus.
Resümee zum Weiterdenken
Die Darstellung unserer direktdemokratischen Möglichkeiten erlaubt es, nun einige Verbesserungsvorschläge zur Diskussion zu stellen. Sie beziehen sich aber nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf die Europäische Union, deren Bürger (?) der Autor laut seinem deutschen Reisepass auch ist.
In Deutschland ist es überfällig, den Grundgesetzauftrag nach Volksabstimmungen zu erfüllen (GG Art. 20.2). Bisher sind eingeschränkte Abstimmungen zwar auf Landes- und Gemeindeebenen möglich, auf Bundesebene aber nur für den Fall der Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29 GG). Seit Jahrzehnten bemüht sich ein Verein „Mehr Demokratie e.V.“ mit unterschiedlicher Intensität darum, ohne allerdings von den politischen Parteien oder den gewählten Abgeordneten nennenswerte Unterstützung zu erhalten. Eine sich einst als basisdemokratisch verstehende Partei (Die Grünen) hat dieses Ziel inzwischen aus ihrem Programm gestrichen. Der Arbeitsauftrag lautet hier: ein Gesetz zu schaffen für bundesweite Abstimmungen mit realistischen Quoren, umfangreichen inhaltlichen Kompetenzen und staatlichen Unterstützungen für Abstimmungen sobald sie die Zulassungsgrenze überschritten haben.
Auch bei den Wahlen besteht Handlungsbedarf. Grundsätzlich ist unser Zweistimmen-Wahlrecht ein großer Vorteil gegenüber den Regelungen in vielen anderen Staaten. Die jüngste Wahlrechtsreform (2024 vom Bundesverfassungsgericht weitgehend bestätigt) schwächt jedoch die Persönlichkeitswahl (1. Stimme) zugunsten der Verhältniswahl (2. Stimme). Das Anliegen, den Bundestag nicht übermäßig anwachsen zu lassen und die kleinen Parteien zu schützen, ist zwar zu begrüßen. Aber die Möglichkeit, dass in einem Wahlkreis ein persönlich gewählter Sieger seinen Wahlkreis evtl. nicht im Bundestag vertreten darf, ist schwer zu ertragen. Das wäre nicht nötig, wenn die Bundestagswahl eine echte Bundestagswahl wäre und nicht eine Summe aus gleichzeitigen bundeslandbezogenen Wahlen. Denn tatsächlich wird das Verhältniswahlrecht über Landeslisten der Parteien praktiziert. Dadurch entstanden in den letzten Jahren die vielen Ausgleichsmandate. Gäbe es nur Bundeslisten, ggf. mit Listenverbindungen z.B. für CDU und CSU, dann könnten alle Erststimmensieger in den Bundestag einziehen und die Zweitstimmen ausschließlich als bundesweiter Parteienausgleich fungieren. Es gäbe dann weniger Abgeordnete als 2 x die Wahlkreisanzahl, einen gerechten Parteienproporz und durchgehend persönlich gewählte Abgeordnete.
Das wäre kein Verstoß gegen den grundgesetzlich garantierten Föderalismus, denn 1. bleiben die Bundesländer mit all ihren Kompetenzen bestehen und 2. sind sie durch den Bundesrat weiterhin auch auf Bundesebene vertreten. Warum muss eine Bundeswahl nach Ländern differenziert werden? Für dieses Zugeständnis an die Landesverbände der Parteien gibt es keinen demokratischen Grund.
Das leitet über zum Bundesrat. Er wird von den Bürgern als ein weiterer Ort parteipolitischer Machtkämpfe wahrgenommen, sofern er überhaupt wahrgenommen wird. Schlecht wahrgenommen wird er deshalb, weil er nicht gewählt wird, sondern nur eine halbherzig gewichtete Kommission aus Länderregierungen ist, ein Erbe aus der monarchistischen Tradition des Ersten Deutschen Reiches. Würden seine Vertreter in den Bundesländern direkt gewählt werden und würde dabei ein Wahlsystem praktiziert, welches mehr Personen als Parteien in den Vordergrund stellt, dann könnte der Bundesrat seine eigentliche Funktion – Bundeslandvertretung auf Bundesebene – vermutlich besser erfüllen und würde auch mehr Aufmerksamkeit und Engagement der einzelnen Bürger erleben.
Das verweist auf einen weiteren Punkt: die entstandene Macht der Parteien. Sie war vom Grundgesetz nicht gewollt, denn Parteien haben dort keine andere Aufgabe als bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art 21.1 GG). Damit sind sie zwar berechtigt, den Willen des Volkes auch bei Wahlen zum Ausdruck, aber nicht, das gesamte staatliche Handeln unter ihren Einfluss zu bringen. Am auffälligsten geschieht dies im Bundestag (und auch in den Landesparlamenten) mit dem „Fraktionszwang“, den es grundgesetzlich gar nicht geben kann. Denn Art. 38 GG kennt nur Abgeordnete, die niemandem als ihrem Gewissen unterworfen sind, was bei den Wahlen sehr für den konsequenten Erhalt der Persönlichkeitswahl spricht. Denn der Wähler muss entscheiden können, welcher Person er vertraut. Auch parteilose Abgeordnete sind zwar möglich, existieren aber praktisch nicht, weil für sie – im Unterschied zu den Parteien – keinerlei staatliche Unterstützung organisiert wird. Gerade im Sinne des Grundgesetzes sollte bei den heute vorhandenen technischen Kommunikationsmitteln ein Teil der finanziellen Parteienförderung umgeleitet werden zur Einrichtung allgemein zugänglicher offizieller Plattformen, auf denen parteilose Kandidaten sich präsentieren können.
Im Unterschied zu Deutschland ist die Europäische Union eine ganz andere Baustelle, sofern man demokratische Kriterien anlegen will. Eine EU-Bürgerschaft wird zwar auf dem Reisepass dokumentiert, ist aber niemals und nirgends von dem unterstellten Souverän entschieden worden. Eine EU-Bürgerschaft müsste sich selbst – also auf dem Weg von Volksabstimmungen in den souveränen Nationen – als eine solche bilden, wenn sie ein demokratischer Akteur sein wollte.
Vorausgesetzt, es bestünde ein europäischer Souverän, so müsste dieser eine Legislative wählen, die diesen Namen verdient, und zwar in Wahlen nach europaweit gleichem Wahlrecht. Das betrifft das Gewicht jeder einzelnen Stimme durch gerechte Stimmenverteilung, d.h. Wahlkreisbildung je Nation. Die Kompetenz einer EU-Legislative müsste auf supranationale Gegenstände begrenzt sein. Konsequent wäre eine zweite Kammer, in der jede Nation gleiches Stimmrecht hat, um die nationale Souveränität zu sichern. Inwieweit dort Einstimmigkeit oder auch außenpolitische Entscheidungen möglich sein sollten, müsste vorab einstimmig (!) entschieden werden.
Ob eine Exekutive direkt von allen EU-Bürgern, wenn diese sich einmal als EU-Bürgerschaft konstituiert haben sollten, oder von einem gleich (!) gewählten Parlament bestimmt wird, kann unter demokratischen Kriterien offenbleiben. Eine Exekutive könnte auch der Europäische Rat sein, d.h. das Gremium der Regierungschefs, die unter sich einen rotierenden Vorsitz für einen jeweils amtierenden EU-Regierungschef vereinbaren könnten. Entscheidend ist, dass eine EU-Regierung nur subsidiär delegierte Themen zu exekutieren hätte und nicht ein Vorgesetzter der Nationen wäre.
Auch eine Judikative kann keine vorgesetzte Behörde der nationalen Judikativen sein, sondern darf sich nur auf die subsidiär eingeschränkte Gesetzgebung einer EU-Legislative beziehen. Die Wahl der Richter kann – in Anlehnung an die italienischen und spanischen Verfahren – zwar letztlich von EU-Legislative und/oder EU-Exekutive vollzogen werden, aber nach Vorschlägen, die aus den nationalen Richterschaften selbst kommen müssen.
Mit diesen kurzen Hinweisen ist eine demokratische Europäische Union sicher nicht erschöpfend beschrieben. Es wird lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass die Struktur der aus der Montan-Union mehr schlecht als recht entwickelten politischen EU von demokratischen Selbstverständlichkeiten weit entfernt ist, was aber nicht so sein müsste. Wenn man denn will.
Demokratische Vielfalt
In diesem Kapitel werden verschiedene Demokratien (oder sich als solche verstehende Einheiten) nach einem möglichst ähnlichen Schema betrachtet hinsichtlich ihrer Möglichkeiten von Wahlen, Abstimmungen, Gewaltenteilungen und Entscheidungskompetenzen. Am Ende wird ein zusammenfassendes Resümee zum Weiterdenken formuliert.
Dänemark
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1915)
- Kommunalvertretungen (98)
- Parlament „Folketing“ (1)
Es gibt Volksabstimmungen, wenn mindestens ein Drittel der Abgeordneten (!) das beschließt. Hier ist die Verfassung: Dänisches Grundgesetz (dänisch/deutsch)
Es gibt zwei autonome Gebiete, die Färöer und Grönland. Sie unterstehen dem dänischen König, entsenden je 2 Abgeordnete ins dänische Parlament, haben aber je ein eigenes gewähltes Parlament (das färöische Løgting ist eines der ältesten Parlamente der Welt) und eine von diesem gewählte eigene Landesregierung sowie eine Selbstverwaltung, bis hin zu einigen eigenen Botschaftern in manchen benachbarten Ländern (betrifft nur Färöer). Dänemark, Färöer und Grönland sind drei Nationen innerhalb des dänischen Königreiches.
Färöer und Grönland sind nicht Mitglied der Europäischen Union oder des Schengenraumes. Ihr Justizwesen ist weitgehend in das dänische integriert und auch außen- und sicherheitspolitisch werden sie weitgehend von Dänemark vertreten, obwohl sie auch eigene außenpolitische Beziehungen haben und eigene Wirtschaftsräume mit nordischen Nachbarn pflegen. Nun zum „eigentlichen“ Dänemark:
Die Kommunalvertretung wird in den Kommunen mit Verhältniswahlrecht alle 4 Jahre im November gewählt. Diese wählt mehrheitlich den Bürgermeister. Die Kommunen haben eine relativ große finanzielle Autonomie. Sie erheben Kommunalsteuern (Einkommen- und Grundsteuer), die allerdings mit dem Finanzminister ausgehandelt werden müssen, und sie erheben Abgaben auf ihre Leistungen. Außerdem erhalten sie Zuweisungen für staatlich auferlegte Verwaltungsaufgaben. Ihre kommunalen Aufgaben sind hauptsächlich
- Sozial-, Gesundheitswesen, Altenpflege
- Schulen und Kindergärten
- Jobcenter
- Straßen und Wege (ausgenommen Autobahnen und Fernstraßen)
- Bürgeramt, Pässe, Führerscheine
- Parkanlagen, Stadtplanung, Bibliotheken
- Öffentlicher Nahverkehr
Die Legislative, der Folketing, wird für vier Jahre mit Verhältniswahlrecht gewählt; es gibt nur eine Parlamentskammer. In den Wahlkreisen werden 175 Abgeordnete gewählt plus je 2 für Grönland und die Färöer-Inseln. Aktives und passives Wahlrecht hat jeder Bürger ab 18 Jahren.
Das Parlament verabschiedet Gesetze und kontrolliert die Regierung. Gesetze bedürfen der Zustimmung des Königs. Das Parlament darf Kriegserklärungen oder Friedensverträge, die die Regierung beschließt, bestätigen, bzw. dies verweigern.
Wenn mindestens ein Drittel der Abgeordneten das beschließt, wird eine Volksabstimmung veranlasst, bei der ein vom Parlament beschlossenes Gesetz vor das Volk zu bringen ist. Das Gesetz ist abgelehnt, wenn mindestens 30 % der stimmberechtigten Bürger sich beteiligen und eine einfache Mehrheit mit Nein gegen dieses Gesetz stimmt.
Auch für Verfassungsänderungen ist die Volksabstimmung vorgesehen. Die Initiative liegt hier beim Parlament, das mit Zustimmung der Regierung einen Vorschlag machen kann. In diesem Fall werden Neuwahlen ausgeschrieben und wenn das neu gewählte Folketing dem Änderungsvorschlag zustimmt, wird dieser innerhalb eines halben Jahres den Wählern vorgelegt. Angenommen ist er nur, wenn 40 % aller Wahlberechtigten dem zustimmen und der König dies bestätigt.
Es gibt Grungesetzregeln zur Souveränitätsabgabe, um die zwischenstaatliche Rechtsordnung zu fördern. Diese Bestimmung (§ 20) wurde eingeführt, um Beitritt /Zusammenarbeit mit UNO, Europarat, EG, EU zu regeln. Dies war umstritten, wurde jedoch vom höchsten Gericht bestätigt, wobei klargestellt wurde, dass genau definiert werden muss, welche Souveränität abgegeben wird.
Die Exekutive ist faktisch die Regierung, die vom Ministerpräsidenten geleitet wird. Dieser wird vom König /der Königin ernannt. Dabei muss diese(r) beachten, dass der Ministerpräsident keine offensichtliche Mehrheit im Parlament gegen sich hat; unter dieser Bedingung kann auch eine Minderheitsregierung eingesetzt werden. Der König ist das Staatsoberhaupt und gemäß Verfassung Teil der Exekutive, auch wenn er faktisch fast nur repräsentative und formale Funktionen wahrnimmt. Aber laut Verfassung (§ 3) liegt die ausübende Macht beim König und die gesetzgebende Macht bei König und Folketing (!), also ohne definitive Gewaltentrennung an dieser Stelle. Der König setzt durch seine Unterschrift Gesetze in Kraft und kann das Parlament auflösen.
Die Judikative wird für Zivil- und Strafsachen von Amtsgerichten ausgeübt. Darüber gibt es insgesamt zwei Landgerichte als Berufungsinstanzen oder für große und komplizierte Fälle sowie ein See- und Handelsgericht. Eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit, bei der Bürger gegen staatliche Entschiede klagen können, gibt es nicht. Als letzte Instanz gibt es das höchste Gericht Højesteret, das im Berufungsfall ggf. Verfahrensmängel, Strafmaß und Gesetzesauslegung von unteren Instanzen zu prüfen, aber keine eigene Beweisaufnahme durchzuführen hat. Es besteht (zur Zeit) aus 19 Richtern.
Deutschland
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1918, Unterbrechung 1933 – 1949)
- Gemeindevertretungen, Bürgermeister (ca. 10.000)
- Landesparlamente (16)
- Bundesparlament (1)
Auf Gemeinde- und Landesebene gibt es direkte Volksabstimmungen, die hier nicht vertieft dargestellt werden. Sie haben unterschiedliche Quoren und dürfen sich nicht auf unmittelbar fiskalische Themen beziehen. Siehe „Direktere Demokratie“ unter diesem Button.
In den Gemeinden werden heute bundesweit die Bürgermeister direkt gewählt. Die Stadt-, Gemeinde-, Kreisräte werden mit Verhältniswahl gewählt. Unterschiedlich ist die Stellung des Bürgermeisters: im süddeutschen Raum ist er zugleich Ratsvorsitzender, im norddeutschen Raum nicht; darin spiegeln sich noch Einflüsse der amerikanischen, bzw. britischen Besatzungsmacht.
Eine Gemeindeautonomie ist schwach, da die Einkünfte der Gemeinde hauptsächlich nur Gewerbe- und Grundsteuer sowie (maximal kostendeckende) Gebühren für Leistungen sind, womit die Gesamtkosten nicht einmal hälftig gedeckt werden. Die Gemeindeverwaltungen sind zugleich staatliche Ausführungsorgane für Landes- und Bundesbeschlüsse und finanziell von deren Geldtransfers abhängig.
Die Bundesländer sind staatliche Einheiten mit eigener Verfassung, Legislative, Exekutive, Judikative. Sie wurden nach dem 2. Weltkrieg, in Ostdeutschland nach 1989 auf Basis historischer Bezüge, aber (im Westen) überwiegend vor Gründung der Bundesrepublik gegründet. Sie sind der erste Akteur der Gesetzgebung – mit Ausnahme der Themen, die gemäß Grundgesetz ausschließlich oder „konkurrierend“ dem Bund zugeordnet sind. Die konkurrierenden Themen haben sich faktisch im Lauf der Zeit immer mehr zum Bund hin verlagert, wohl auch weil der Grundsatz gilt: Bundesrecht bricht Landesrecht (sofern es um dasselbe Thema geht). Die föderale Ordnung unterliegt aber dennoch einem „Ewigkeitsartikel“ des Grundgesetzes.
Die Landesparlamente (Landtage, bzw. Bürgerschaft, Abgeordnetenhaus) werden nicht überall gleich gewählt, meist aber mit einem Zweistimmenverfahren und einer Kombination aus Mehrheits- (Personen-) und Verhältnis-(Parteien-) Wahlrecht, Wahlperioden: 4 oder 5 Jahre. Anders als bei Mehrheitswahlrechten bildet der Proporz der politischen Parteien hier den Wählerwillen verhältnismäßig ab, abgesehen von der meist gegebenen 5%-Sperrklausel. Die Landtage wählen die Landesregierung, bzw. den Regierungschef (meist: „Ministerpräsident“), beschließen die Landesgesetze, kontrollieren die Landesregierung. Hoheitsbefugnisse auf Landesebene sind vor allem Kultur- und Bildungswesen, Bau- und Raumordnung, innere Sicherheit und Polizei.
Die Landesregierung wird vom Landesparlament gewählt und hat dieselbe Amtsdauer wie dieses. Der Ministerpräsident bestimmt die Minister, die allerdings vom Landtag akzeptiert werden müssen. Ihre Aufgabe ist die Regierung ihres Bundeslandes entsprechend den Landesgesetzen.
Auf Bundesebene gibt es zwei Organe zur Gesetzgebung (und für weitere Aufgaben):
Der Bundestag beschließt Bundesgesetze, wählt den Bundeskanzler, wacht über den Bundeshaushalt, kontrolliert die Regierung, beschließt Einsätze der Bundeswehr, bildet Ausschüsse zur Gesetzesvorbereitung und kontrolliert die Nachrichtendienste. Die Abgeordneten „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 GG). Faktisch wird in den Parteifraktionen gegen diesen Grundsatz zur Gewissensfreiheit allerdings regelmäßig verstoßen, was auch öffentlich akzeptiert wird, wenn (selten einmal) von einer Entscheidung „diesmal ohne Fraktionszwang“ die Rede ist.
Der Bundestag wird alle 4 Jahre (oder nach einer vorzeitigen Parlamentsauflösung) gewählt. Dabei werden die Abgeordneten nach Länderkontingenten zusammengestellt. Jeweils landesweit gibt es Parteilisten sowie eine Zwei-Stimmen-Wahl für Personen – (Mehrheits-) und Parteien- (Verhältnis-) Wahl. Personen können auch unabhängig von Parteizugehörigkeit gewählt werden, wenn sie mind. 200 Unterschriften aus ihrem Wahlkreis vorlegen. Durch die länderbezogene Zuordnung von Parlamentssitzen und den parteibezogenen Ausgleich der Sitzverteilung ist es mit der Zunahme von kleineren Parteien zu einem Anwachsen der Sitze weit über die geplanten 598 hinaus gekommen.
Der Bundesrat ist eine Vertretung der Bundesländer für Gesetze, die Bundesangelegenheiten betreffen. Er hat ein Zustimmungsrecht zu bundesrelevanten Gesetzen aus dem Bundestag. Der Bundesrat wird nicht gewählt, sondern ist eine Vertretung der Landesregierungen. Diese sind mit 3 bis 6 Stimmen im Bundesrat vertreten (Gesamtzahl: 69), wodurch weder eine Gleichheit der Länder noch eine Gleichheit der Bürgerstimmen gegeben ist, sondern eine mittlere Lösung, die die Stimmen bevölkerungsarmer Länder überrepräsentiert. Ein Bundesland kann nur eine einheitliche Stimme abgeben, was bei Koalitionsregierungen in den Ländern schwierig sein kann. Präsidenten des Bundesrates sind regelmäßig rotierend die Ministerpräsidenten der Länder. Dieser Präsident ist ggf. Stellvertreter des Bundespräsidenten.
Die Initiative zur Gesetzgebung kann aus dem Bundestag (Fraktion oder Mindestzahl von Abgeordneten), aus der Bundesregierung (Exekutive) oder aus dem Bundesrat kommen. Nach einer Grundgesetzänderung haben auch Verordnungen aus der Europäischen Union unmittelbar Gesetzeskraft und Richtlinien aus der EU müssen in Bundesgesetze umgesetzt werden.* Im Einzelnen ist das Grundgesetz (Art. 23) dazu wie folgt geändert worden: „Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen… Der Bundesrat ist an der Willensbildung zu beteiligen, soweit er an einer innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.“ Die nationale Gesetzgebungskompetenz für national gültiges EU-Recht ist damit nur eine Mitwirkung, die von der Exekutive bei den Verhandlungen mit supranationalen Institutionen zu „berücksichtigen“ ist.
Verfassungsänderungen kann der Bundestag mit Zweidrittel-Mehrheit durchführen, allerdings (gemäß Art. 79.3) nicht an den Grundrechts-Artikeln 1 bis 20, die einen „Ewigkeitsstatus“ haben.
Die 1949 in Kraft gesetzte Version des Grundgesetzes findet sich im Bundes-gesetzblatt vom 23.05.1949. Die aktuelle Version des Grundgesetzes findet sich beim Bundestag. Alle Änderungen des GG bis 2009 werden in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages WD3-380/09 dargestellt.
Die Bundesregierung als Exekutive auf Bundesebene wird vom Bundeskanzler zusammengestellt, der vom Bundestag mit gleicher Amtsdauer wie dieser gewählt wird. Er bestimmt die Minister, die keine gewählten Abgeordneten sein müssen, und die Ressortzuteilung. Er bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik und kann durch ein konstruktives Misstrauensvotum vom Bundestag oder durch eine eigene Vertrauensfrage vorzeitig im Amt abgelöst werden. Er kann beliebig oft wiedergewählt werden.
Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt mit repräsentativen Funktionen. Er wird gewählt von der Bundesversammlung, die sich aus dem Bundestag und aus Delegierten der Bundesländer zusammensetzt. Er darf maximal zweimal für fünf Jahre gewählt werden; seine Aufgabe beschränkt sich aber auf Formalitäten und ggf. auf symbolische Akte und bedenkenswerte Wortbeiträge.
Die Judikative ist in weiten Teilen Ländersache. Es gibt eine mehrstufige Gerichtsbarkeit mit Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten für Zivil- und Strafsachen, sowie verschiedenen Fachgerichte (Arbeits-, Sozial-, Finanz-, Verwaltungsgerichten) und jeweils einem Landesverfassungsgericht. Die Verwaltungsgerichte, ebenfalls mit mehrstufigen Berufungsinstanzen, dienen dem Schutz der Bürger vor staatlichen Verwaltungsakten; nicht alle demokratischen Staaten kennen diese Institution.
Auf Bundesebene gibt es für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Bundesgerichtshof als letzte Revisionsinstanz. Daneben gibt es auch Bundesinstanzen für die Fachgerichte, ein Bundesverwaltungsgericht sowie ein Bundesverfassungsgericht, welches jeder Bürger anrufen kann.
Die Richter sind zwar unabhängig in der Ausübung ihres Dienstes, unterstehen aber einer Dienstaufsicht durch die Exekutive (Justizminister), die auch an ihrer Ernennung beteiligt ist. Bundesrichter werden von Bundestag und Bundesrat (Richterwahlausschuss) gewählt. Es gibt Forderungen aus der Richterschaft nach mehr Selbstverwaltung zur Sicherung der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Die Staatsanwälte sind auch inhaltlich an Weisungen ihrer Vorgesetzten aus Behörden und Ministerien gebunden.
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* Stellvertretend auch für andere Nationen sei an dieser Stelle erläutert:
Alle EU-Staaten haben sich dazu verpflichtet, EU-Recht in nationales Recht zu übernehmen oder umzusetzen. Es handelt sich hier um eine Abgabe von Souveränitätsrechten, die als notwendig für den Aufbau einer Europäischen Union erachtet wird. Inwieweit die Abgeordneten für solchen Beschluss legitimiert waren oder sind, muss an dieser Stelle offenbleiben.
Europäische Union
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1978)
- ein Parlament.
Es gibt die Möglichkeit von EU-Bürgerinitiativen.
Erste Frage: Wer ist das Volk? Ein europäisches Staatsvolk hat sich bisher nicht konstituiert; der Versuch, zu diesem Zweck eine europäische Verfassung einzuführen, ist bei zwei Versuchen (Frankreich und Niederlande) in Volksabstimmungen gescheitert und wurde nicht weiter versucht. Das Handeln der EU beruht ausschließlich auf Staatsverträgen, die aber so praktiziert werden, als hätten sie eine Staatsgründung geschaffen.
Zweite Frage: Was ist das Parlament? Es ist eine „Legislative“, die Gesetze verabschieden, aber nicht selbst initiieren kann. Die Wahl dieses Parlaments vollzieht sich in den Mitgliedsstaaten der EU alle fünf Jahre nach unterschiedlichen Wahlregeln und die Zusammensetzung des Parlaments geschieht mit starkem Übergewicht für die bevölkerungsarmen Staaten. Von den insgesamt 720 Abgeordneten stellen z.B. Malta und Zypern je 6 Abgeordnete, Belgien 22, Deutschland 96, was bei weitem nicht den Bevölkerungsverhältnissen entspricht. Aufgaben des Parlamentes sind neben der Verabschiedung von Gesetzen
- Vorschlag von Gesetzesabsichten an die Europäische Kommission
- Verabschiedung des Haushaltes, wobei Änderungswünsche zum vorgelegten Haushalt zu schwierigen Abstimmungsvorgängen führen
- Wahl der Kommission und ihres Präsidenten, wobei die Vorschläge hierzu von anderer Seite kommen
- Kontrolle der Kommission und ggf. Misstrauensvotum gegen sie mit Zweidrittelmehrheit.
Dritte Frage: welche Institutionen gibt es sonst noch? (sie werden hier nur auszugsweise genannt)
Die Europäische Kommission, die manchmal als Exekutive bezeichnet wird. Das ist sie allerdings ebenso wenig wie das Parlament eine Legislative ist. Vielmehr ist die Kommission die eigentliche Legislative, denn sie formuliert mit einem Mitarbeiterstab von über 30.000 Beamten und mit Hilfe von Europäischen Räten (siehe unten) die Verordnungen und Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen oder dieses bereits sind. Die Kommission hat neben dem legislativen Initiativrecht die Aufgabe
- auf die Einhaltung des EU-Rechts in den Mitgliedsstaaten zu achten
- ggf. beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die nationalen Regierungen einzureichen
- den Haushalt umzusetzen und beschlossene Förderprogramme durchzuführen.
Die Kommission besteht aus so vielen KommissarINNen wie es Mitgliedsstaaten gibt, je ein/e für ein Land. Für jeden Kommissar wird ein Fachressort definiert. Die Kommissare werden von ihren jeweiligen Regierungen benannt; sie müssen sich dem EU-Parlament vorstellen und von ihm bestätigt werden. Ihre Amtszeit fällt praktisch mit der des Parlaments zusammen. Der Präsident der Kommission wird vom Europäischen Rat nominiert, wobei das Ergebnis der vorangegangenen Parlamentswahl zu berücksichtigen ist.
Worauf bezieht sich die Gesetzgebung der EU? Bei der staatsvertraglich vereinbarten Kompetenz zur Gesetzgebung (letzte Fassung EU-Vertrag 2016) ist zwar viel von Subsidiarität die Rede, aber die Aufgaben, die der EU ausschließlich (Artikel 2) oder geteilt mit den Mitgliedstaaten (Artikel 4) übertragen sind, umfassen nahezu alles, was überhaupt Gegenstand staatlicher Regelung werden kann. Was hat es mit Subsidiarität zu tun, wenn EU-weit Glühbirnen verboten werden? Oder europäische Abgasnormen auch für Fahrzeuge gelten, die niemals ihr Heimatland verlassen? Das hat mit dem eigentlichen Zweck der EU – Freihandel für alles – zu tun, aber nicht mit subsidiär aufgebauter Demokratie.
Der Europäische Rat ist ein Gremium der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Dies ist ebenso wie der Rat der Europäischen Union eine zwischenstaatliche, keine überstaatliche Einrichtung. Der Rat der Europäischen Union ist das Gremium der Fachminister aus den Mitgliedssaaten, also eigentlich ein internationaler Ministerrat. Den Vorsitz hat halbjährig rotierend jeweils ein Land. Die Treffen finden getrennt nach Fachressorts statt. Aufgabe dieses Ministerrates ist auch die Ausarbeitung von Gesetzen. Sofern hier kein Konsens gefunden wird, werden die Themen weiter im Europäischen Rat, also auf der Ebene der Regierungschefs behandelt. Da es hier auch um Gesetzgebungsverfahren geht, handelt es sich um eine Verletzung der Gewaltenteilung, weil die beiden hier genannten Räte auf nationaler Ebene Exekutive sind, auf internationaler Ebene jedoch als Legislative tätig werden.
Europäische Bürgerinitiativen sind möglich, wenn 1 Million Unterschriften aus einem Viertel der Mitgliedstaaten im Verlauf von 12 Monaten gesammelt werden. Das Anliegen der Initiative führt im Fall, dass diese Bedingungen erfüllt werden, dazu, dass die Kommission sich mit der Initiative befassen muss. Die Befassung kann allerdings auch aus der Aussage bestehen, dass man sich nicht weiter damit befassen möchte; die Initiative hat lediglich empfehlenden, keinen verbindlichen Charakter. Inhaltlich dürfen sie sich auch nicht mit Vertragsreformen, also mit einer Veränderung der EU-Struktur befassen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist das oberste rechtsprechende Organ der EU. Zu seinen Aufgaben zählt es, die einheitliche Auslegung des Rechts der Europäischen Union sowie der Europäischen Atomgemeinschaft zu gewährleisten. Direkte Klagen sind beim EuGH nur in bestimmten Fällen möglich. Das Europäische Gericht ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch für Klagen der Mitgliedstaaten gegen die Europäische Kommission zuständig. Der EuGH ist in zwei Gerichte untergliedert:
- Der Gerichtshof befasst sich mit Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte, bestimmten Nichtigkeitsklagen und Berufungen. Er besteht aus einem Richter/Richterin aus jedem Mitgliedsland sowie elf Generalanwälten,
- Das Gericht entscheidet über Nichtigkeitsklagen von Einzelpersonen, Unternehmen und in manchen Fällen auch EU-Ländern. Es befasst sich also in der Praxis vor allem mit Wettbewerbsrecht, staatlichen Beihilfen, Handel, Landwirtschaft und Marken. Es besteht aus zwei Richter/innen aus jedem Mitgliedsland.
Die Richter und Generalanwälte werden für jeweils sechs Jahre von den nationalen Regierungen einvernehmlich ernannt (Gewaltenteilung?). Eine Wiederernennung ist zulässig. Aus ihrer Mitte wählen die Richter für die Dauer von drei Jahren ihren/ihre Präsidenten/Präsidentin. Eine Wiederernennung ist zulässig.
Insgesamt amtet der EuGH als Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht, Arbeits- und Sozialgericht, Strafgericht, Zivilgericht.
Der EU-Rechtsprechung liegt die Vorstellung zugrunde, dass es sich bei EU-Recht um eine eigenständige Rechtsordnung handele, also nicht um gewöhnliches Völkerrecht, die unabhängig von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten existiere. Diese Rechtsordnung versteht sich als über den nationalen Rechtsordnungen stehend, d.h. im Fall, dass nationales Recht und EU-Recht denselben Gegenstand betreffen, bricht EU-Recht das nationale Recht. Deshalb wurde auch eine EU-Grundrechte-Charta entwickelt, wobei von Völkerrechtlern schon kritisch in Frage gestellt wurde, ob damit ggf. die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes „überstimmt“ werden können.
„Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof wirft dem EuGH vor, „einseitige Entscheidungen ohne Rücksicht auf gewachsene nationale Rechtsinstitute“ zu fällen und damit in Bereiche einzugreifen, die die Mitgliedstaaten bewusst von europäischen Regeln freigehalten hätten. So würde vom Gerichtshof „die Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und die Vorschriften zur Rücksichtnahme in den europäischen Verträgen außer Acht“ gelassen.“ (Wikipedia)
Insgesamt sind die EU-Institutionen hier nur ansatzweise aufgeführt. Deutlich wird aber, dass es nicht nur formal an einer demokratischen Staatlichkeit fehlt, obwohl die EU sich wie ein Staat verhält, sondern demokratische Selbstverständlichkeiten auch inhaltlich nicht realisiert sind.
Zu unterscheiden und nicht zu verwechseln ist der Europarat, der mit der Europäischen Union nicht verbunden ist, auch wenn sein Sitz sich ebenso in Straßburg befindet wie das EU-Parlament und seine Fahne und Hymne dieselben sind. Der Europarat wurde 1949 gegründet und ihm gehören praktisch alle europäischen Staaten an, von Island über die Schweiz und die Türkei bis Aserbeidschan, mit Ausnahme von Russland (Mitglied 1996 – 2014), Belarus und dem Vatikan (Beobachterstaus).
Seine selbstgestellte Aufgabe ist es, „einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen“ (Art. 1 der Satzung). Er verfügt wesentlich über zwei Organe: ein Ministerkomitee (Außenminister der Staaten, bzw. deren ständige Vertreter) und eine parlamentarische Versammlung, in welche die Parlamente der Mitgliedstaaten Vertreter entsenden. Der Ministerrat verhandelt zu bestimmten Themen Staatsverträge, die den Mitgliedstaaten – aber auch anderen Staaten – vorgelegt werden und die in Kraft treten, sobald eine Mindestzahl an Staaten unterzeichnet hat.
Außerdem gibt es einen Kongress der Gemeinden und Regionen als beratendes Organ sowie einen beratenden Status für Nichtregierungsorganisationen.
Schließlich ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Teil dieser Institution, der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht und nahezu die Hälfte des arbeitenden Personals einnimmt.
Frankreich
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1944)
- Gemeinderäte (in ca. 36.000 Gemeinden)
- Departementräte: (in 101 Departements, davon 5 in Übersee)
- Regionalräte (seit 2016: in 18 Regionen, davon 5 in Übersee)
- Nationalversammlung (1)
- Präsident (1)
Die Gemeinderäte werden mit Mehrheitswahlrecht gewählt, in großen Städten mit Verhältniswahlrecht. Sie verwalten die Gemeindeangelegenheiten und wählen einen Bürgermeister aus ihrer Mitte. Sie sind politisch nicht selbständig, sondern Verwaltungseinheiten, die abhängig von zentralen Entscheidungen sind. Außerdem entsenden sie Vertreter in den Senat.
Die Departementräte werden alle 6 Jahre mit Mehrheitswahlrecht gewählt, wobei hier (neuerdings) immer ein Kandidatenpaar aus verschiedenen Geschlechtern zur Wahl steht. An der Spitze des Departements steht jedoch ein Präfekt, der von der Regierung ernannt wird. Zwischen dem Präfekten und dem Rat besteht eine Machtverteilung, wobei „Macht“ sich hier, ebenso wie bei den Gemeinden, nur auf Verwaltungsakte, nicht auf politische Entscheidungen bezieht. Die Gemeinderäte wählen ebenfalls Vertreter in den Senat.
Die Regionalräte werden alle 6 Jahre gewählt mit einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Der gewählte Rat wählt sich einen Präsidenten und mehrere Vizepräsidenten mit verschiedenen Zuständigkeitsbereichen. Auch hier geht es nur um die Selbstverwaltung der Region auf Basis der national geregelten Gesetzgebung. Die Regionen sind keine politischen, sondern nur Verwaltungseinheiten; über etwas mehr Autonomie verfügen Korsika und die Bretagne. Auch die Regionalräte wählen Vertreter in den Senat.
Der Senat, der von den vorgenannten Institutionen gewählt wird, gilt als „Oberhaus“ des französischen Parlaments. Er hat seinen Sitz im Palais du Luxembourg in Paris. „Die Zahl der Wähler einer Region ist abhängig von der Bevölkerungszahl, aber nicht proportional zu dieser: Ländliche Regionen haben bei der Wahl im Verhältnis mehr Stimmen als Städte.
Senatoren werden für sechs Jahre gewählt. Sie sind im politischen System Frankreichs an der Gesetzgebung beteiligt, können aber im Zweifelsfall von der Nationalversammlung überstimmt werden. Die Kontrollrechte gegenüber der Regierung sind nur schwach ausgeprägt: Der Senat hat das Recht, sie zu befragen und Berichte zu veröffentlichen, aber keine formellen Sanktionsmöglichkeiten.
Der Senat in seiner heutigen Form ist das Ergebnis der Verfassung der Fünften Französischen Republik, die im Wesentlichen den französischen Präsidenten und die Regierung stärkte und das Parlament schwächte. Die Regierung hat zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten in das innere Verfahren des Senats. Da der Senat die schwächere der beiden Kammern ist, war er in der Vergangenheit immer wieder Ziel prominenter Kritik, die seine Existenzberechtigung in Frage stellte.“ (Wikipedia)
Die Nationalversammlung ist die eigentliche Legislative, offiziell das „Unterhaus“ des Parlaments. Es hat seinen Sitz im Palais Bourbon und wird alle 5 Jahre gewählt nach dem „romanischen Mehrheitswahlrecht“, d.h. es gilt die absolute Mehrheit nach ggf. 2 Wahlgängen. Die 577 Wahlkreise vertreten ungefähr je 66.000 Bürger. Ein Abgeordneter muss Wehr- und Zivildienst erfüllt haben und darf keinen höheren Beamtenposten bekleiden. Allerdings darf ein Abgeordneter zugleich einen Sitz im Europaparlament haben oder Bürgermeister, Regional- oder Departementsrat sein. Die lokale Verankerung der Abgeordneten ist häufig, weil die Bürger mangels dezentraler politischer Entscheidungsebenen von ihren Abgeordneten die Vertretung lokaler Interessen erwarten.
Die Parteienlandschaft ist relativ vielfältig und es werden in der Nationalversammlung oft Fraktionen auch aus mehreren Parteien gebildet. Die Gesetzgebung des Parlaments erstreckt sich auf die Gebiete
- die öffentlichen Freiheiten
- Festlegung von Verbrechen und Vergehen
- Erhebung von Steuern
- Haushaltsrecht
- nationale Verteidigung
- Verwaltung der Gebietskörperschaften
- Unterrichtswesen
- Eigentumsrecht
- Arbeitsrecht
- Finanzierung der Sozialversicherung
Verfassungsänderungen bedürfen der Zustimmung der Nationalversammlung und des Senats.
Gesetzesinitiativen können von der Regierung, von jedem einzelnen Abgeordneten der Nationalversammlung oder von Senatoren eingebracht werden. Allerdings dürfen die Gesetzesvorschläge, die von den Abgeordneten kommen, keine Ausgabenerhöhungen oder Mindereinnahmen des Staates bewirken…(!) Die Gesetze müssen zwar von beiden Kammern verabschiedet werden, aber bei Uneinigkeit kann die Nationalversammlung den Senat überstimmen. Im Übrigen wird das Gesetzgebungsverfahren auch sonst stark von der Exekutive geprägt:
Der Premierminister ist zusammen mit der Regierung zuständig für die Ausführung der Gesetze, die nur von der Regierung eingebracht werden dürfen, sofern sie haushaltsrelevant sind! Im Einverständnis mit dem Präsidenten nimmt der Premier Ernennungen für zivile und militärische Ämter vor. Er kann in vielen Bereichen Verordnungen erlassen, wenn ihm das Gesetzgebungsverfahren zu langwierig ist. Allerdings ist die Regierung dem Parlament direkt verantwortlich für die Durchführung der Gesetze, für die Verwaltung, für die Streitkräfte und sie muss zurücktreten, wenn das Parlament ihr das Misstrauen ausspricht. Die Regierung tritt unter Leitung des Staatspräsidenten (!) als Ministerrat zusammen.
Die Regierung bestimmt sogar die Tagesordnung des Parlaments. Gleichwohl ist sie auf eine Zusammenarbeit mit dem Parlament angewiesen. Sie ist ihrerseits aber stark abhängig vom Präsidenten.
Der Staatspräsident wird direkt vom Volk gewählt mit dem „romanischen Mehrheitswahlrecht“. Er wird für 5 Jahre gewählt und darf maximal einmal wiedergewählt werden. Der Präsident ernennt den Premierminister und die Regierung. Er ist zugleich Vorsitzender des Ministerrates und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er hat das Recht, die Nationalversammlung aufzulösen, allerdings nur einmal im Lauf eines Jahres… Er bestimmt die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes und hat das Recht, eine Volksabstimmung über einen Gesetzesentwurf zu veranlassen.
Diese starke Stellung des Präsidenten, die in der Verfassung der „5. Republik“ seit 1959 so geregelt wurde, hat Francois Mitterand (selbst Präsident 1981 -95) einmal als „permanenten Staatstreich“ bezeichnet – zu einer Zeit als er selbst noch Oppositionspolitiker war.
Die Rechtsprechung (Judikative) ist in Frankreich in eine ordentliche Gerichtsbarkeit (für Zivil- und Strafsachen) und in eine Verwaltungsgerichtsbarkeit mit mehrstufigen Berufungsmöglichkeiten aufgeteilt. Ein „ordentlicher“ Richter darf in die juristische Arbeit der Verwaltungsbehörden nicht eingreifen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist in verschiedene Fachgebiete gegliedert.
Für die ordentliche Gerichtsbarkeit gibt es als oberstes Gericht einen Kassationshof, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Staatsrat, für verfassungsrechtliche Fragen einen Verfassungsrat. Falls die Zuordnung eines Falles streitig ist, entscheidet darüber ein Konfliktgericht, dessen Präsident der französische Justizminister ist.
Außerdem gibt es einen Verfassungsrat, der in bestimmten Fällen tätig wird, um zu prüfen, ob Gesetze, Referenden oder auch Parlamentswahlen verfassungsgemäß sind.
Italien
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1946)
- Gemeinderäte und Bürgermeister (ca. 7.800 Gemeinden)
- Regionalräte (20 Regionen, davon 5 mit Sonderstatut)
- Parlament, bestehend aus 2 Kammern (Camera dei deputati und Senato della Repubblica)
- und es hat verschiedene Möglichkeiten der direkten Abstimmung zu Gesetzen
Hier kann die Verfassung eingesehen werden: https://www.verfassungen.eu/it/
Die Gemeinden unterliegen einer weitgehend einheitlichen, zentral geregelten Gemeindeordnung. Sie wählen ihre Gemeinderäte und Bürgermeister direkt. Es gilt ein einfaches Mehrheitswahlrecht (bis 15.000 Einwohner), bei größeren Gemeinden muss ggf. über eine Stichwahl eine absolute Mehrheit erreicht werden. Die Gemeinden haben die Aufgabe ihrer eigenen Selbstverwaltung, sie verfügen oft über eine eigene Polizei (Polizia Municipale) und sind vor allem für Sozialleistungen und Raumordnung zuständig; im Übrigen erfüllen sie auch staatliche Aufgaben wie Melde- und Standesämter etc. Für manche Verwaltungsaufgaben bilden kleinere Gemeinden Verbände.
„Metropolitanstädte“, Provinzen, Kommunen können Einfluss auf die Gesetzgebung innerhalb der Regionen ausüben: Ein Rat der Lokalautonomien, bestehend aus Provinzpräsidenten, Bürgermeistern und anderen Kommunalvertretern hat hier ein Initiativrecht für regionale Gesetze.
Die Regionalräte werden direkt gewählt (Ausnahmen: Trentino-Südtirol, wo sie von den Räten der Autonomen Provinzen Bozen und Trient gewählt werden) und haben grundsätzlich eine legislative Kompetenz für Anliegen ihrer Region, bzw. für Themen, die nicht gemäß der italienischen Verfassung dem zentralen Parlament in Rom zustehen. Innerhalb der Regionen kann entschieden werden, ob die Regionalpräsidenten (Exekutive) direkt vom Volk oder von den Regionalräten gewählt werden (überwiegend ist ersteres der Fall). Die Regionen verfügen allerdings nicht über eigenes Zivil- und Strafrecht; dieses bleibt dem Staat (zentral) zugeordnet. Die nationale Regierung in Rom kann in den Regionen erlassene Gesetze vor dem Verfassungsgericht anfechten. Dies gilt auch umgekehrt!
Das Parlament (Legislative) wird für beide Kammern teils mit Mehrheits-, teils mit Verhältniswahl gewählt, wobei für die Verhältniswahl eine 3 % Klausel gilt. Beide Kammern sind gleichberechtigt und müssen gemeinsam einen identischen Gesetzestext verabschieden. Da jede der beiden Kammern oft Änderungen vornimmt, die von der anderen Kammer akzeptiert werden müssen, ziehen sich Gesetzesabschlüsse oft lange hin.
Die Kammer der Abgeordneten besteht aus 400 italienweit gewählten Personen, passives Wahlrecht 25 Jahre, von denen 3/8 mit Mehrheitswahlrecht und 5/8 mit Verhältniswahlrecht bestimmt werden. Der Senat besteht aus ca. 200 Personen, die jeweils nur in den 20 Regionen des Landes gewählt werden, passives Wahlrecht 40 Jahre. Jeder Region stehen ungefähr entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil unterschiedlich viele Senatoren zu. Hier werden 74 mit Mehrheitswahlrecht und 122 mit Verhältniswahlrecht bestimmt, außerdem 4 für Auslandsitaliener. Zusätzlich darf der Staatspräsident 5 Senatoren auf Lebenszeit ernennen und alle ehemaligen Staatspräsidenten haben Recht auf einen Senatssitz auf Lebenszeit.
Das Initiativrecht zur Gesetzesvorlage hat jeder einzelne Abgeordnete oder Senator, die Regierung als Ganzes sofern der Staatspräsident dem zustimmt, außerdem die Regionalräte und das Volk selbst, wenn es 50.000 Unterschriften dafür vorlegt. In Kraft treten kann ein Gesetz aber nur mit Zustimmung beider Parlamentskammern, was oft mit langwierigen Änderungen verbunden ist.
Beide Parlamentskammern treten gemeinsam zusammen, um
- den Staatspräsidenten zu wählen
- 5 von 15 Verfassungsrichtern zu wählen
- ein Drittel der Mitglieder des Obersten Rates der Gerichtsbarkeit zu wählen („Oberster Rat“ ist Selbstverwaltungsorgan der Richter und Staatsanwälte für ordentliche Gerichtsbarkeit: Zivil- und Strafsachen); die anderen 2 Drittel werden von der Richterschaft selbst bestimmt.
Die Regierung (Exekutive), consiglio die ministri, Ministerrat, wird auf Basis der Parlamentswahlen, die gleichzeitig zu beiden Kammern stattfinden, vom Staatspräsidenten bestimmt. Er beauftragt eine Person zur Regierungsbildung, die dann einzelne Minister vorschlägt. Die Entscheidung darüber liegt letztlich beim Staatspräsidenten. Der Ministerpräsident kann Minister nicht selbständig ernennen oder entlassen. Er ist im Ministerrat primus inter pares. Die Regierung bereitet Gesetze vor und erlässt Dekrete, die unter bestimmten Bedingungen quasi Gesetzeskraft haben, um schneller handeln zu können. Dies können Gesetzesdekrete oder Legislativ-Dekrete sein.
Der Staatspräsident wird von beiden Kammern des Parlaments gemeinsam für 7 Jahre gewählt. Er ernennt in eigener Entscheidung den Ministerpräsidenten und (ggf.) die von diesem vorgeschlagenen Minister. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er kann beide Parlamentskammern auflösen und Neuwahlen veranlassen. Er hat ein einmaliges Vetorecht bei der Unterzeichnung von Gesetzen. Er ist Vorsitzender des Obersten Rates der Gerichtsbarkeit und kann 5 von 15 Verfassungsrichtern ernennen. Er kann bis zu 5 Senatoren auf Lebenszeit ernennen und nach seiner Amtszeit selbst Senator auf Lebenszeit werden. Er ordnet die Durchführung von Volksbefragungen und Volksentscheiden an, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind.
Volksabstimmungen sind in verschiedenen Formen möglich.
„Abrogativ“ oder aufhebend wird ein Referendum genannt, wenn damit Gesetz abgelehnt werden soll, was mit einfacher Mehrheit möglich ist. Voraussetzung ist ein Antrag von 500.000 Wahlberechtigten oder 5 Regionalräten und die Erfüllung formaler Regeln. Haushaltsrelevante Volksabstimmungen oder solche zu völkerrechtlichen Verträgen oder Straferlässen sind nicht möglich.
„Konsultativ“ wird ein Referendum genannt, wenn damit die Aufteilung der Regionen bereichsweise neu gegliedert werden soll.
„Konfirmativ“ ist ein Verfassungsreferendum, wenn Verfassungsänderungen der Gegenstand sind; hier können innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung ein Fünftel der Mitglieder einer Kammer oder 500.000 Wahlberechtigte oder 5 Regionalräte dies beantragen. Eine Mindestbeteiligung bei der Abstimmung ist dann nicht erforderlich.
Die Judikative ist weitgehend unabhängig; Richter und Staatsanwälte sind nicht an Weisungen der Exekutive gebunden und unterstehen nicht dem Justizminister.
Die ordentliche Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafsachen) untersteht einem Selbstverwaltungsorgan Consiglio Superiore della Magistratura (CSM), welches zu zwei Dritteln von der Richterschaft gewählt wird, zu einem Drittel von beiden Parlamentskammern sowie außerdem vom Staatspräsidenten und zwei hohen Beamten.
Wer Richter oder Staatsanwalt werden will, nimmt an einem jährlichen Wettbewerb teil, bei dem 300 – 400 Stellen für Richter und Staatsanwälte vergeben werden. Zwischen diesen beiden Berufen kann gewechselt werden. Diese ordentliche Gerichtsbarkeit gilt für ganz Italien, ohne regionale Unterschiede. Für Zivil- und Strafrecht gibt es drei Ebenen (2 Berufungsinstanzen).
Das Verwaltungsrecht ist ein autonomer Zweig der Rechtsordnung. Hier geht es nicht um die Anerkennung eines Rechts, sondern um die Klage zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes, zum Beispiel bei den Themen Baurecht, Zugang zu Dokumenten, Vergabe öffentlicher Aufträge, Schadensersatz für einen Verwaltungsakt.
Außerdem gibt es noch eine Gerichtsbarkeit der öffentlichen Rechnungen und eine Steuergerichtsbarkeit.
Schweiz
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1971)
- Gemeindevertreter
- Kantonsparlamente
- Kantonsregierung
- Bundesversammlung: Nationalrat und Ständerat
Auf allen drei Ebenen gibt es direkte Volksabstimmungen sowohl zu beschlossenen Gesetzen (Referendum) als auch zu eigens initiierten Gesetzesvorschlägen (Volksinitiative), bzw. Sachthemen.
Die Verfassung kann hier eingesehen werden: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
Die Gemeinden verfügen über unterschiedlich große Autonomie, was von Kanton zu Kanton verschieden geregelt ist. Generell ist die Gemeindeautonomie im Osten der Schweiz größer als im Westen. Aufgabe der Gemeinden ist die Selbstverwaltung, die auch eigene Steuererhebung umfasst. Nur in geringem Umfang sind die Gemeinden für die Durchführung bundesstaatlicher Aufgaben zuständig. In manchen Gegenden tritt eine Gemeindeversammlung als Legislative (!) zusammen, aus der wieder eine Exekutive gewählt wird, in anderen Gegenden (vor allem lateinische Schweiz) wird ein Gemeindeparlament gewählt.
Die Gemeindevertretungen sind überwiegend ehrenamtlich („Milizsystem“), was auch zum Zusammenschluss kleinerer Gemeinden führt. In den letzten 40 Jahren ist die Zahl der Gemeinden von ca. 3.000 auf ca. 2.100 zurückgegangen, wobei die Gemeindegrößen sehr unterschiedlich sind.
Die 26 Kantone (davon drei „Halbkantone“) sind eigene Staaten mit Verfassung, Legislative, Exekutive und Judikative. Sie haben überwiegend schon vor der Gründung der modernen Eidgenossenschaft 1848 existiert. Die kantonalen Parlamente (Kantonsrat, Landrat, Parlament) werden auf Basis von Verhältniswahlrecht für 4 oder 5 Jahre gewählt, nur in Appenzell per Mehrheitswahlrecht. In einigen Kantonen kann das Parlament per Volksentscheid vorzeitig abberufen werden. In den Kantonen Glarus und Appenzell ist eine jährlich zusammentretende Landsgemeinde aus allen Bürgen das oberste Gesetzgebungsorgan.
Die Exekutive der Kantone ist ein Regierungsrat, bzw. Staatsrat, der aus 5 – 7 Mitgliedern besteht. Sie werden direkt vom Volk gewählt, fast überall mit Mehrheitswahlrecht, und bilden eine gleichberechtigte Kantonsregierung. Einer von ihnen übernimmt für ein Jahr rotierend den Vorsitz. In einigen Kantonen kann die Regierung per Volksentscheid vorzeitig abberufen werden.
Auf Bundesebene gibt es zwei Parlamentskammern: Nationalrat und Ständerat.
Der Nationalrat wird bundesweit entsprechend den Bevölkerungsanteilen in den Kantonen gewählt. Bevölkerungsarme Kantone haben nur einen (1) Nationalrat, der mit Mehrheitswahl bestimmt wird, größere Kantone praktizieren Verhältniswahlrecht. Es gibt 200 Nationalräte, die aus ihrer Mitte einen Präsidenten als Vorsitzenden wählen.
Der Ständerat wird aus je 2 Vertretern aus einem Kanton gebildet, die (überwiegend) mit Mehrheitswahlrecht von den Kantonsbürgern bestimmt werden.
Beide Kammern müssen in getrennten Sitzungen alle Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und völkerrechtlichen Verträge beschließen. Die Abgeordneten sind nicht an Weisungen von Kantonen, Parteien etc. gebunden. Das Schweizer Parlament gilt als Milizparlament, d.h. seine Mitglieder üben das Amt nebenberuflich aus und erhalten nur Sitzungsgelder und Spesen, aber keinen Lohn.
In gemeinsamer Sitzung wählen beide Kammern die 7 Bundesräte (Exekutive) sowie den Bundeskanzler, die Bundesrichter und im Kriegsfall den General. Der Bundeskanzler hat eine dienende und beratende Funktion für die Regierung.
Die Exekutive des Bundes ist der Bundesrat, der von der Bundesversammlung gewählt wird. Seine 7 Mitglieder haben verschiedene Ressortzuteilungen. Einer von ihnen ist jeweils für ein Jahr rotierend Bundespräsident und übernimmt damit die Funktion eines Staatspräsidenten.
Die Regierung versteht sich (freiwillig, nicht verfassungsgemäß) als Organ einer Konkordanzdemokratie, d.h. sie wird seit vielen Jahrzehnten aus einem Parteienbündnis zusammengestellt, welches ungefähr den Mehrheitswillen der Wähler wiedergibt. Änderungen in der Zusammensetzung sind selten und werden nur vorgenommen, wenn über längere Zeit ein Missverhältnis zwischen Wahlergebnissen und Parteienproporz in der Regierung entstehen würde.
Einem „Mangel an Opposition“ zur Regierung stehen die Möglichkeiten der direkten Beeinflussung durch das Volk gegenüber. Bereits davon wird das Handeln von Parlament und Regierung bestimmt.
Direkte Demokratie besteht in der Schweiz auf allen Ebenen: Gemeinde, Kanton, Bund.
Mit Referendum, zu dem auf Bundesebene 50.000 Unterschriften eingereicht werden müssen, können vom Parlament beschlossene Gesetze dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden.
Mit Initiative, zu der auf Bundesebene 100.000 Unterschriften vorgelegt werden müssen, können eigene Vorschläge für Gesetze oder zur Verfassungsänderung dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden.
Die Sammlung dieser Unterschriften ist Sache von privaten Initiativen oder Parteien. Die Organisation der Volksabstimmung, die auf eine erfolgreiche Unterschriftensammlung folgt, wird von öffentlichen Stellen nach bestimmten Regeln unterstützt, ähnlich wie auch Wahlen von öffentlichen Stellen organisiert werden. Für die Abstimmungen werden vorab die Inhalte auf gesetzliche Eignung geprüft und dann den stimmberechtigten Bürgern öffentlich vorgestellt und erläutert. Ist eine Abstimmung zugelassen, so ist keine Mindestbeteiligung mehr erforderlich, um gültig zu sein. Der Prozess bis zur Abstimmung wird von umfangreichen öffentlichen Diskussionen und Bekanntmachungen begleitet. Manche Abstimmungen kommen auch dadurch nicht zustande, dass bereits im Dialog zwischen Veranlasser einer Initiative und zuständigem Parlament neue Gesetzestexte vereinbart werden, was manchmal auch ohne Abstimmung zum Rückzug einer Initiative führt. Die Abstimmungskompetenz ist weit gefasst und betrifft auch haushaltsrelevante Themen.
Verfassungsänderungen sind obligatorisch dem Volk zur Abstimmung vorzulegen.
Die Judikative umfasst auf kantonaler Ebene alle Instanzen, die den Bundesgerichten vorgeschaltet sind. Es gibt Schlichtungsbehörden und Friedensrichter für vorgerichtliche Auseinandersetzungen. Dann gibt zwei Instanzen, Bezirksgerichte und Obergerichte für Zivilprozesse. Nicht in allen Kantonen gibt es auch Verwaltungsgerichte, Steuergerichte, Jugendgerichte, Arbeitsgerichte u.a. Fachgerichte, in manchen Kantonen auch Straf- und Kriminalgerichte. Drei Kantone kennen auch ein Verfassungsgericht.
Auf Bundesebene gibt es Gerichte für Zivil- und Strafrecht sowie für Sozialrecht (Lausanne und Luzern), ein Strafgericht (Bellinzona), ein Patentgericht (St. Gallen), ein Bundesverwaltungsgericht (St. Gallen). Die Bundesrichter, von denen manche nur nebenberuflich tätig sind, werden von der Bundesversammlung (also von beiden Kammern des Parlaments) bestimmt.
Ein Bundesverfassungsgericht existiert in der Schweiz nicht.
Spanien
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1931, Unterbrechung 1939-75)
- Kommunale Gebietskörperschaften (ca. 8.000 Gemeinden und 50 Provinzen)
- Parlamente der 17 autonomen Gemeinschaften
- Das Parlament, bestehend aus 2 Kammern: Kongress und Senat
Hier kann die Verfassung eingesehen werden: https://www.verfassungen.eu/es/verf78-index.htm
Die kommunalen Gebietskörperschaften sind Organe der kommunalen bzw. provinziellen Selbstverwaltung; daneben bestehen auf diesen Ebenen auch unselbständige zentralstaatliche Verwaltungsorgane. Die jeweilige Exekutive (Bürgermeister) wird aus dem Kreis der gewählten Selbstverwaltungsorgane gewählt. In manchen Gegenden gibt es zwischen Gemeinde und Provinz noch die verwaltungstechnische Zwischenebene der Comarcas. Manche kleinen Gemeinden schließen sich auch zu Mancomunidades zusammen. Die in Nordafrika liegenden Autonomen Städte Ceuta und Melilla haben einen Sonderstatus.
Die 17 Autonomen Gemeinschaften haben zwar eigene Legislativen und Exekutiven, sind aber keine eigenen Staaten (wie z.B. die deutschen Bundesstaaten). Sie haben keine eigene Verfassung und über ihren Status und dessen Ausgestaltung kann nur auf zentralstaatlicher Ebene entschieden werden. Ihre Autonomiestatute können sie nicht selbst verabschieden, sondern dies bedarf der Zustimmung des gesamtspanischen Parlaments. Diese mit Verhältniswahl gewählten Parlamente (Legislative) wählen aus ihrer Mitte ihren Ministerpräsidenten, der seinerseits die Regierung (Exekutive) vorschlägt, die vom König ernannt werden muss. Die Inseln Balearen und Kanaren praktizieren als autonome Gemeinschaften eine Direktwahl ihrer Vertreter.
Die Kompetenzen gliedern sich in drei Stufen: einen exklusiven Bereich, in dem die Autonome Gemeinschaft alleinige Gesetzgebungskompetenz hat, einen mit dem Zentralparlament geteilten Gesetzgebungsbereich und einen Bereich, in dem es ausschließlich um Vollzug der Gesetze des Zentral-Parlamentes geht.
Zentralstaatlich gibt es das Parlament (Cortes Generales) in Madrid als Legislative, welches aus 2 Kammern besteht. Es ist das zentrale Gesetzgebungsorgan, bewilligt den Haushalt und kontrolliert die Regierung. Der Congreso de los Diputados (Kongress der Abgeordneten) besteht aus 300 – 400 frei, gleich und unmittelbar alle vier Jahre in einer Direktwahl gewählten Abgeordneten. Der Senado (Senat) repräsentiert die autonomen Gemeinschaften. Seine 250 Mitglieder werden überwiegend direkt gewählt, ca. ein Viertel bis ein Fünftel davon werden von den autonomen Gemeinschaften, d.h. von deren Parlamenten, ernannt. Auch die Senatoren haben eine Amtszeit von vier Jahren. Der Senat hat jedoch kein Mitspracherecht bei den für ganz Spanien geltenden Gesetzen, die nur vom Kongress der Abgeordneten verabschiedet werden.
Der Ministerpräsident wird vom Parlament gewählt und vom König ernannt. Er hat die Richtlinienkompetenz für die Zentralregierung, kann die Cortes Generales auflösen und vorgezogene Neuwahlen veranlassen. Er bestimmt das Kabinett, die Fachminister, die aber vom König ernannt werden müssen.
Staatsoberhaupt ist der König, der die Gesetze bestätigt und den Ministerpräsidenten ernennt. Er ist zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Sein Amt wird innerhalb der Königsfamilie vererbt.
Die Judikative existiert nur auf gesamtspanischer Ebene; es gibt keine eigene Gerichtsbarkeit auf Ebene der autonomen Gemeinschaften. Das bedeutet, dass auch die Verstöße gegen die internen Gesetze der autonomen Gemeinschaften in der Rechtsprechung von zentralstaatlich eingesetzten Gerichten behandelt werden. Die autonomen Gemeinschaften verfügen damit zwar über legislative und exekutive Autonomie, aber nicht über judikative und also nicht über eine föderale Eigenstaatlichkeit wie z.B. in Deutschland, USA, Schweiz.
Leitendes Organ der spanischen Rechtsprechung ist der Generalrat der rechtssprechenden Gewalt, der sich aus 12 Richtern, 8 Rechtsanwälten und anderen Juristen und einem Präsidenten zusammensetzt. Die 12 Richter werden zunächst aus richterlichen Berufsvereinigungen vorgeschlagen, die 36 Kandidaten mit mindestens 15jähriger Berufserfahrung benennen. Die beiden Parlamentskammern wählen daraus jeweils 6 Personen aus, die dann vom Justizminister bestätigt und vom König ernannt werden. Sie dürfen einmal wiedergewählt werden. Die anderen 8 Juristen werden von den beiden Parlamentskammern zu gleichen Teilen benannt, vom Justizminister bestätigt und vom König ernannt. Sie sind nicht wiederwählbar. Der Generalrat der rechtssprechenden Gewalt hat folgende Aufgaben (Quelle Wikipedia):
- Vorschlag des Präsidenten des Generalrats und Obersten Gerichtshofs mit drei Fünfteln der Mitglieder,
- Vorschlag von zwei Mitgliedern des Verfassungsgerichts mit drei Fünfteln der Mitglieder,
- Inspektion der Gerichte,
- Auswahl, Ausbildung und Fortbildung, Regelungen für Ernennungen, Beförderungen, Status und Disziplinarmaßnahmen betreffend Richter,
- Mitwirkung an der Ernennung höherer Richter,
- Mitwirkung an der Ernennung des Verwaltungspersonals,
- Zuständigen betreffend die Richterschule,
- Aufstellung, Leitung der Ausführung und Überwachung der Einhaltung des Haushalts des Generalrats,
- Verordnungen gemäß Artikel 110 des Organgesetzes,
- Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen,
- weitere durch Gesetz übertragene Zuständigkeiten.
Das Verfassungsgericht entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen; seine Entscheidungen haben selbst Gesetzeskraft. Es besteht aus 12 Richtern, die (jeweils 4) von beiden Kammern des Parlaments, und (jeweils 2) von der Regierung und dem Generalrat der Rechtsprechenden Gewalt vorgeschlagen und vom König ernannt werden. Ihre Amtszeit beträgt 9 Jahre, wobei alle 3 Jahre ein Drittel ersetzt wird.
United Kingdom
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1928)
- Gemeinderäte, Bürgermeister u.a. Kommunalvertreter
- Landesparlamente in Schottland, Wales, Nordirland
- House of Commons (Parlaments-Unterhaus für UK)
Eine Verfassung /Grundgesetz existiert nicht in geschriebener Form.
UK besteht aus 4 Landesteilen, die sich als eigene Nationen verstehen: England, Schottland, Wales (diese drei bilden Great Britain), plus Nord Irland. Außerdem gibt es 14 Überseegebiete (z.B. Gibraltar, Bermuda, Falkland etc.) und drei Kronbesitzungen (die Inseln Guernsey, Jersey, Man), die nicht zu UK gehören. All diese Gebiete haben eigene Rechtssysteme, werden aber international von der britischen Regierung in London vertreten. Schließlich gibt es noch die City of London, das Gebiet einer Quadratmeile mit wenigen tausend Einwohnern, aber hunderttausenden Angestellten im Zentrum Londons, die seit dem 9. Jahrhundert dem Monarchen untersteht und heute als einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt sozusagen exterritorial mit eigenem Rechtssystem funktioniert.
Bei UK handelt es sich um eine Monarchie und insoweit nicht um eine Demokratie, was praktisch eher zeremonielle Bedeutung hat. Die komplexe Struktur des politischen Systems deutet dieses Schema an:
Quelle: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/grossbritannien-262/10536/regierung-und-verwaltung
Unterhalb der hier gezeigten unteren Ebene gibt es die Gemeinden, deren Vertreter gewählt werden. Es handelt sich dabei mehr um Verwaltungs- als um politische Einheiten, deren Kompetenzen nicht überall identisch sind.
Die drei Landesparlamente und -regierungen werden mit Mehrheitswahlrecht alle 5 Jahre (Wales), bzw. alle 4 Jahre (Schottland, Nordirland) gewählt. Sie bestimmen die jeweils innenpolitischen Belange ihrer Nationen und haben einen „First Minister“ als Regierungschef. Ihre Kompetenzen erstrecken sich auf Bildung, Gesundheit, interne Verwaltung, Kultur, Tourismus, Denkmalschutz. Sie sind aber unterschiedlich geregelt: während Schottland eigene Gesetze erlassen kann, kann Wales nur über die Verwendung des zugeteilten Haushalts bestimmen. Außenpolitisch werden diese Nationen vom Parlament in London vertreten. Ein eigenes Landesparlament für England existiert nicht; es ist mit dem Parlament in London für UK identisch. Dadurch entstehen manchmal Unklarheiten, ob Gesetze nur für England oder für UK insgesamt gelten sollen.
Das UK-Parlament besteht zwar aus Ober- und Unterhaus, aber die nicht gewählten Oberhausmitglieder (House of Lords) haben heute praktisch keine Machtbefugnisse mehr. Von den 740 Mitgliedern haben max. 92 einen geerbten Titel; die anderen sind Adlige, Bischöfe oder Personen, die vom Monarchen ernannt wurden. Sie haben beratende oder ggf. aufschiebende Wirkung bei der Gesetzgebung.
In das House of Commons werden alle 5 Jahre 650 Abgeordnete von allen 4 Nationen nach einem reinen Mehrheitswahlrecht (the winner takes it all*) gewählt. Sie haben die Aufgabe der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle. Sie vertreten das United Kingdom außen- und sicherheitspolitisch. Die britische Parlamentssouveränität bedeutet zwar, dass das Parlament über den Inhalt der Gesetze bestimmen kann ohne ein Verfassungsgericht über sich zu haben, aber es bedeutet nicht, dass es über Krieg oder Frieden entscheiden kann.
Der Premierminister ernennt die Kabinettsmitglieder und führt die Regierungsgeschäfte. Er wird vom Monarchen ernannt und ist üblicherweise der Vorsitzende der größten Partei im Unterhaus. Der Monarch hat theoretisch aber das Recht, jeden Bürger zum Premierminister zu ernennen, der nicht Mitglied im Oberhaus ist.
Der König /die Königin ist Staatsoberhaupt und vertritt das Land protokollarisch. Er/ sie verfügt aber theoretisch über Machtbefugnisse, da er den Ministerpräsidenten ernennt und da vom Parlament beschlossene Gesetze erst durch seine /ihre Unterschrift in Kraft treten; dies ist allerdings zuletzt 1708 verweigert worden. Er /sie ist aber gemeinsam mit dem Parlament Inhaber der souveränen Staatsgewalt; der Monarch ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann (gemeinsam mit dem Premier) Krieg erklären ohne Parlamentszustimmung.
Das Rechtssystem ist dadurch gekennzeichnet, dass keine geschlossene Verfassung existiert und ein großer Teil der Rechtsprechung auf dem „common law“ basiert. Wichtige Verfassungsgrundsätze sind aber niederlegt und bilden bis heute juristische Bezugspunkte für verschiedene Themen:
- Magna Charta (1215)
- bindet die Ausübung von Macht im politischen System an ein Gesetz
- schränkt die Macht der Monarchin bzw. des Monarchen ein
- gibt Parlament mehr Macht
- Petition of Rights (1628)
- keine Steuererhebungen ohne die Zustimmung des Parlaments
- keine Verhaftungen ohne Grund
- kein Militärregime während Friedenszeiten
- Habeas Corpus Gesetz (1679)
- Schutz vor willkürlichen Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren
- Bill of Rights (1689)
- freie Wahlen
- Redefreiheit
- Regelmäßigkeit des Parlaments
- Festlegung des aktuellen Wahlsystems
Es werden zwar Gesetze vom Parlament beschlossen, aber in der Rechtsprechung wird oft auf Präzedenzfälle („Common law“) Bezug genommen. Tatsächlich ist zwischen englischem, schottischem und nordirischem Recht zu unterscheiden; das walisische orientiert sich am englischen. Im Zivilrecht kann zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen gewählt werden, d.h. ein Schotte kann z.B. englisches Recht anwenden; im Strafrecht geht das nicht, wenn die jeweils territorial zuständige Rechtsordnung auf den Fall anwendbar ist.
Seit 2009 gibt es einen Obersten Gerichtshof des Königreichs; diese Funktion hatte bis dahin das House of Lords ausgeübt. Er ist für alle Straf- und Zivilprozesse in UK zuständig, außer für Strafprozesse in Schottland; diese werden dort eigenständig behandelt. Es gibt 12 Richter in diesem Supreme Court, die vom König ernannt werden, auf Vorschlag des Premierministers, bzw. des Lordkanzlers, im Zusammenwirken mit einer Auswahlkommission, der verschiedene hohe Richter angehören. Die Legislative hat hier keinen unmittelbaren Einfluss.
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* stellvertretend auch für andere Mehrheitswahlsysteme sei an dieser Stelle erläutert:
Beim Mehrheitswahlsystem bleiben grundsätzlich viele Wählerstimmen unberücksichtigt. Falls es zwei Parteien gibt und eine davon knapp die meisten Wahlkreise erobert, bleibt nahezu die Hälfte der Wählerstimmen unberücksichtigt. Wenn es mehrere Parteien gibt, von denen eine mit auch nur relativer Mehrheit (unter 50 %) überwiegend vorne liegt, bleiben mehr als die Hälfte der (anderen) Wählerstimmen nicht repräsentiert. Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigen zum Beispiel die britischen Ergebnisse 2024: die Labourpartei hat bei den Unterhauswahlen insgesamt ca. ein Drittel aller Stimmen gewonnen, damit aber fast zwei Drittel der Wahlkreise und somit Abgeordnetensitze. Das darf man durchaus als Verfälschung des Wählerwillens bezeichnen. Ähnliche Beispiele aus Mehrheitswahlergebnissen in anderen Zeiten und Ländern lassen sich in großer Zahl anfügen. Auch wenn es nicht um die Wahl von Parteien, sondern „nur“ von Personen geht, ändert das nichts an der faktischen Annullierung unterlegener Kandidaten oder Kandidatinnen bei diesem Wahlrecht.
USA
Das Volk wählt (Allgemeines Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht seit 1920)
- Bürgermeister in Towns, Citys, Townships, …
- Parlament des Staates
- Gouverneur des Staates
- Parlament der Union
- Wahlmänner zur Präsidentenwahl
In den einzelnen Staaten gibt es verschiedene Formen der Volksabstimmung.
Die Verfassung kann hier eingesehen werden: https://usa.usembassy.de/etexts/gov/gov-constitutiond.pdf
https://de.wikisource.org/wiki/Verfassung_der_Vereinigten_Staaten_von_Amerika
In Städten und Gemeinden werden Bürgermeister direkt gewählt (Mehrheitswahlrecht), aber mit unterschiedlichen Regelungen für die sehr unterschiedlichen kommunalen Definitionen. Zum Beispiel wird in den Neuenglandstaaten eine City von einem gewählten Bürgermeister verwaltet, während in einer Town dies eine Gemeindeversammlung tut.
In den Countys (mittlere Verwaltungsebene) wird in den meisten Staaten der Sheriff (Polizeichef) gewählt. Die Countys haben in manchen Staaten beschränkte Steuerbefugnisse. Allerdings ist ihre Bedeutung als Verwaltungs- und auch als politische Einheit seit Jahren zurückgegangen.
Die Parlamente der Einzelstaaten haben auf Basis eigener Verfassung eine eigene Legislative und einen Gouverneur (Regierungschef). Die ältesten 13 Staaten an der Ostküste bestanden zunächst als englische Kolonien, die sich 1776 unabhängig von England erklärten und 1787 zur Union zusammenschlossen. Die weiteren Staaten kamen im Zuge der Eroberung des Westens hinzu. Das Parlament besteht (außer in Nebraska) aus Ober- und Unterhaus und wird direkt mit Mehrheitswahlrecht gewählt, meist alle 2 Jahre (meist 80 Repräsentanten) bzw. alle 4 Jahre (meist halb so viele Senatoren). In den meisten Staaten handelt es sich um Teilzeit-Parlamente, die nur einige Male im Jahr zusammentreten, nur in Kalifornien, New York, Pennsylvania, Michigan um Vollzeit-Parlamente mit Vollzeit-Abgeordneten.
Ihr Aufgabe ist die staatsinterne Gesetzgebung, die sich auf alle Themen bezieht, die nicht der Zentralregierung in Washington D.C. vorbehalten sind, sowie auf den staatsinternen Haushalt.
Der Gouverneur wird in jedem Staat ebenfalls mit Mehrheitswahlrecht gewählt. Es genügt eine relative Mehrheit, außer in Louisiana, wo eine absolute Mehrheit erforderlich ist. Er ist die Exekutive und ernennt mit Zustimmung des Senats hohe Beamte und Richter. Der Gouverneur hat ein Vetorecht bei den vom Parlament beschlossenen Gesetzen; das Parlament kann dieses Veto mehrheitlich zurückweisen (in den Staaten mit je unterschiedlichen Mehrheiten). Gouverneure und Parlamente werden unabhängig voneinander direkt gewählt. Es gibt Wahldistrikte, die alle 10 Jahre im Hinblick auf ungefähr gleiche Bevölkerungszahl ggf. neu gebildet werden.
Die Judikative ist in jedem Einzelstaat selbständig und bezieht sich auf das Zivil- und Strafrecht der jeweils einzelstaatlichen Gesetze. Daher gibt es so viele Staatsrechte und Rechtsprechungen wie es Staaten gibt (50); es gibt auch einzelstaatliche Supreme Courts. Meist handelt es sich bei der Rechtsprechung um Geschworenengerichte, bei denen zufällig bestimmte Bürger zu Geschworenen ernannt und verpflichtet werden; allerdings müssen die streitenden Parteien sich über die Zusammensetzung dieser Jury einig sein. Diese Jury bestimmt (einstimmig!) über „(nicht?) schuldig“; der Richter leitet die Verhandlung und legt das Strafmaß fest. Die Anwaltskosten (ca. 200 – 500 $ /h oder mehr) muss jede Partei selbst tragen, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens! Außer nach Gesetzen wird teilweise auch noch nach „common law“ (Präzedenzfälle, siehe U.K.) geurteilt.
Volksabstimmungen sind in den Einzelstaaten in unterschiedlicher Weise möglich (bis zu 56 verschiedene Arten) und werden auch teilweise umfangreich praktiziert, allerdings mit geringen Wahlbeteiligungen. Deshalb werden sie meist auf einen Tag mit allgemeinen Wahlen gelegt.
Auf der Ebene von Countys, Städten, sogar Schulbezirken können Volksentschiede durchgeführt werden; sie können auch Steuersenkungen oder die Abschaffung von Rassenquoten zum Thema haben. Auch der Gouverneur kann während einer Wahlperiode durch Volksentscheid abgewählt werden.
Zentralstaatlich (hier: „Federal“) ist das System ähnlich wie in den Einzelstaaten aufgebaut:
Der Kongress besteht aus 2 Kammern, deren Mitglieder jeweils direkt mit Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Seine Aufgaben sind die Gesetzgebung für die föderale Ebene (d.h. unionsweit), der Haushalt, Entscheidungen über Militäreinsätze und den Abschluss außenpolitischer Verträge.
Das Repräsentantenhaus wird in den einzelnen Bundesstaaten entsprechend deren Einwohnerzahl gewählt (derzeit 435 Abgeordnete, Spannbreite: 1 für Alaska, 53 für Kalifornien). Es hat Initiativrecht für Gesetzesvorlagen. Jeder Repräsentant vertritt einen Distrikt (Wahlbezirk) seines Heimatstaates, Mindestalter 25 Jahre. Die Wahlperiode beträgt pro Abgeordneten 4 Jahre, aber die Hälfte wird durch Wahlen alle 2 Jahre neu bestimmt.
Der Senat besteht aus jeweils 2 Senatoren für jeden Staat, unabhängig von der Einwohnerzahl. Senatoren werden für 6 Jahre gewählt, aber auch hier wird alle 2 Jahre gewählt und je ein Drittel neu bestimmt. Der Senat ist bei der Gesetzgebung dem Repräsentantenhaus weitgehend gleichgestellt. Der Bestellung von Ministern, Bundesrichtern, Botschaftern und anderen hohen Staatsbeamten muss aber nur der Senat, nicht das Repräsentantenhaus zustimmen. Im Fall von Stimmengleichheit hat der US-Vizepräsident Stimmrecht; er ist, obwohl Exekutive(!) Vorsitzender des Senats, also einer Legislative.
Der Staatspräsident hat eine starke Stellung, ist jedoch in vielen Punkten auf Abstimmung mit dem Kongress angewiesen. Er ist zugleich Regierungschef, ernennt die Minister der Regierung, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und benennt die Richter des Obersten Gerichtes, die allerdings vom Senat bestätigt werden müssen. Er kann Verordnungen erlassen, die für Behörden und Amtsträger ohne Zustimmung des Kongresses rechtsverbindlich sind; der Kongress kann sie aber (per Mehrheitsentscheid) zurücknehmen. Der Kongress kann den Präsidenten nicht des Amtes entheben (außer: aufwändiges Impeachment-Verfahren). Umgekehrt hat der Präsident keine Kompetenz zur Gesetzesinitiative.
Der Präsident sowie sein von ihm benannter Vize wird nicht direkt gewählt, sondern von einem „Wahlmännergremien“, welches in den einzelnen Bundesstaaten auf unterschiedliche Weise gewählt wird. Es repräsentiert auch nicht gleichviele Bürgerstimmen, da jeder Staat 2 Wahlmänner mehr hat als es seinem Bevölkerungsanteil entspricht; das begünstigt bevölkerungsarme Staaten zum Teil erheblich. Die Wahlmänner werden in jedem Staat durch Volkswahlen bestimmt, wobei der Wahlmodus in den Einzelstaaten verschieden ist. Die Parteien spielen dabei praktisch keine zentrale Rolle, da sie keine starken Organisationen, sondern eher Plattformen für die Kandidaten sind. Aktiv sind hier zivilgesellschaftliche Komites und Lobbygruppen. Am Ende einer solchen Vorwahl steht fest, für welchen Kandidaten der ganze Staat mit all seinen Stimmen bei der späteren Präsidentenwahl geschlossen stimmen muss (bzw. soll), nämlich für den, der die meisten Wahlmänner per Volkswahl in diesem Staat erhalten hat. Allerdings sind die Wahlmänner formal nicht an dieses Votum gebunden.
Hier: https://www.nzz.ch/meinung/qual-der-wahl-und-wahl-der-qual-das-wahlsystem-der-usa-ld.1851742 wird das System zur US-Präsidentenwahl genauer dargestellt.
Man muss auch erwähnen, dass die US-Bürger nicht selbstverständlich von staatlichen Stellen zur Wahl gerufen werden, sondern sie müssen sich in den meisten Staaten (nicht überall) unter erheblichen und nicht überall gleichen bürokratischen Hindernissen darum bemühen, wählen zu dürfen.
Die Präsidentenwahl selbst findet alle 4 Jahre immer am Dienstag nach dem ersten Montag im November statt, die Amtseinführung im darauffolgenden Januar. Unregelmäßige Präsidentschaftswahlen gibt es seit 1788 nicht; falls ein Präsident ausfällt, tritt der Vizepräsident ein. Die Präsidentschaftswahlen sind unabhängig von Kongresswahlen. Dass ein Präsident nur einmal wiedergewählt werden darf war früher Gewohnheitsrecht, wurde aber nach dem 2. Weltkrieg verbindlich festgelegt.
Die Judikative ist auf der Ebene der Staaten geregelt, siehe oben. Auf zentralstaatlicher („federal“) Ebene gibt es gemäß der US-Verfassung nur den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) als Justizorgan. Ihm stehen neun Richter vor, die auf Lebenszeit beamtet sind. Sie werden (im Fall einer erforderlichen Neubesetzung) vom Präsidenten vorgeschlagen und müssen vom Senat bestätigt werden. Der Supreme Court hat über die Verfassungsmäßigkeit konkreter Fälle zu entscheiden, wenn diese über eines der dreizehn Berufungsgerichte an ihn verwiesen wurden. Er ist die erste Anlaufstelle in bundesstaatlichen (föderalen) Fragen, zum Beispiel bei Konflikten mit ausländischen Konsuln oder im Seerecht.
Resümee zum Weiterdenken
Die Betrachtung verschiedener Nationen mit unterschiedlichen demokratischen Strukturen erlaubt einige Verallgemeinerungen, bzw. Fragen danach, ob man aus den Unterschieden Folgerungen für Verbesserungen ableiten könnte. Das wird im Folgenden ein wenig eingekreist.
Die Gewaltenteilung ist in manchen Ländern so gestaltet, dass die Exekutive unmittelbar von der Legislative abhängig ist, sie wird von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament bestimmt und schuldet der Legislative Rechenschaft, so z.B. in Deutschland. Umgekehrt ist damit die Exekutive während ihrer Amtsperiode relativ mächtig, denn sie hat bis zur nächsten Wahl der Legislative praktisch eine relativ sichere Mehrheit für die Gesetzesvorhaben, die sie im Parlament einbringen darf. Sie hat im Fall von Mehrheitsblöcken im Parlament selbst dann Einfluss auf die Gesetzgebung, wenn sie kein eigenes Initiativrecht hätte (was sie in Deutschland aber hat). Theoretisch ist dieser Gleichklang in Deutschland eigentlich nicht gewollt, da das Grundgesetz nur unabhängige Abgeordnete, aber nicht die Macht der Parteien und Fraktionen kennt, die tatsächlich entstanden ist.
In anderen Ländern werden Exekutive und Legislative getrennt und ungleichzeitig gewählt, sodass eine größere Unabhängigkeit beider voneinander entsteht, z.B. in USA und Frankreich. Damit erscheint die Gewaltenteilung konsequenter realisiert zu sein; allerdings ist z. B. der US-Präsident stärker auf Kooperation mit dem Kongress angewiesen, da er nicht selbst Initiativrecht für Gesetzesvorhaben hat. Der französische Präsident ist zwar auch auf Kooperation mit dem Parlament angewiesen, hat darüber hinaus jedoch einen größeren Einfluss auf das Tagesgeschäft des Parlaments und sogar auf dessen konkrete Existenz, da er es auflösen darf.
Das Thema Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive kennt also verschiedene Zwischenformen, aber keine völlige Trennung. Eine völlige Trennung lässt sich wohl kaum institutionell lösen, sondern sie hängt letztlich von der persönlichen Unabhängigkeit eines jeden Abgeordneten ab. Allgemein lässt sich festhalten, dass eine demokratisch gewählte Legislative, ein Parlament, gegenüber der Exekutive im Zweifel die bestimmende Instanz sein sollte – solange sich nicht das Volk selbst durch Abstimmungen zu Wort meldet.
Dass auf EU-Ebene eine Gewaltenteilung auch bei wohlwollender Betrachtung kaum als existent bezeichnet werden kann, wurde bereits im Abschnitt EU ausgeführt.
Auch für die Judikative ist eine konsequente Trennung kaum zu beobachten, allerdings gibt es verschieden weit reichende Versuche, dies zu tun. Aber von irgendjemandem müssen die Richter schließlich eingesetzt werden. Unmittelbare Einflussnahme auf die Arbeit der Richter ist zwar nirgends zulässig. Aber wer darf sie bestellen? Und darf eine Exekutive auf die Arbeit von Staatsanwälten direkt Einfluss nehmen, wie das in Deutschland der Fall ist? Eine recht offensichtliche Abhängigkeit besteht in den USA, wo der Präsident (Exekutive) die obersten Richter auswählen darf, die allerdings vom Senat (Teil der Legislative) bestätigt werden müssen. Komplexere Systeme finden sich in Spanien und Italien, wo zunächst die Richterschaft selbst Vorschlagsrechte für die Stellenvergabe hat; Legislative und Exekutive sind dort, wie auch in anderen EU-Ländern, nur teilweise, aber nicht vorherrschend in die Entscheidungen eingebunden, womit eine größere Unabhängigkeit der Judikative von den beiden anderen Gewalten gegeben ist.
Die Gleichheit der Stimmen scheint eine demokratische Selbstverständlichkeit zu sein. Darunter sollte aber nicht nur verstanden werden, dass der Wert einer Stimme nicht (wie früher) an den sozialen Status, Besitz, Geschlecht, Rasse etc. gebunden ist. Sondern es ist auch eine Frage des Wahlsystems: wie sind politische Minderheiten geschützt? Das z.B. im angelsächsischen Raum und auch in Frankreich praktizierte Mehrheitswahlrecht lässt für politische Minderheiten oft keine angemessene politische Vertretung zu, selbst wenn es große Minderheiten sind. Der Wählerwille wird hier regelmäßig verfälscht, wenn man die Ebene der Parteien betrachtet: Parteien, die in vielen Wahlkreisen nur knapp unterlegen sind, finden sich oft in massiver Unterzahl im Parlament wieder, siehe die Fußnote im Abschnitt United Kingdom.(Es sei denn knappe Mehrheitsverhältnisse gleichen sich über verschiedene Wahlkreise hinweg aus, was aber ein Zufall wäre.) Dadurch oft entstehende klare Mehrheiten können zwar die Regierungsbildung erleichtern, aber eben zu Lasten einer angemessenen Darstellung des Wählerwillens. In USA kommt hinzu, dass in den Bundesstaaten, vor allem bei der Präsidentenwahl, unterschiedliche Wahlsysteme in den Staaten existieren, sodass eine Stimmengleichheit auf Bundes-(föderaler) Ebene offensichtlich nicht existiert.
Ein Verhältniswahlrecht berücksichtigt kleinere politische Richtungen zwar wesentlich besser, lässt als reine Proporz-Bewertung aber die Persönlichkeit der Bewerber außer Acht. Damit wird das Prinzip der persönlichen Unabhängigkeit eines Abgeordneten verletzt, denn letztlich muss der Wähler entscheiden dürfen, ob er einer Person vertraut. Eine angemessene Kombination beider Systeme ist schwierig, was auch im Rahmen der deutschen Wahlrechtsreformvorschläge deutlich wird. Dennoch wäre es demokratisch angemessen, darin eine Lösung zu suchen.
Die Gleichheit ist auch ein Thema, wenn es um die übergeordnete Vertretung von politischen Einheiten geht. In USA und Schweiz sind die selbständigen Staaten, bzw. Kantone mit Stimmengleichheit auf der Bundesebene vertreten. Das ist konsequent und respektiert weitgehend die Souveränität dieser „unteren“ Ebenen. Soweit dabei allerdings keine Einstimmigkeit, sondern Mehrheitsentscheid gilt, ist die Souveränität der unteren Ebene für die hier behandelten Themen dennoch eingeschränkt, denn der Wille eines Staates/ Kantons kann dann von außen überstimmt werden. Demokratisch vertretbar ist das dann, wenn auf dieser Ebene tatsächlich nur übergeordnet relevante Themen entschieden werden dürfen. Neben der Ebene für die gleiche Vertretung der Staaten existiert dort (USA, Schweiz) eine Bundesebene, die die Gleichheit aller Stimmen der Bundesbürger darstellt. (Allerdings gibt es in den USA oft Zweifel am Zuschnitt der Wahlkreise, die recht unterschiedliche Einwohnerzahlen haben können, womit auch Parteipolitik gemacht wird.) In Deutschland dürfen die Einwohnerzahlen der Wahlkreise maximal um 15 % voneinander abweichen.
In Deutschland ist die Vertretung der Bundesländer auf Bundesebene mit einer Zwischenlösung realisiert, welche die Länder „ein wenig“, aber sehr inkonsequent, nach ihrer Bevölkerungszahl berücksichtigt. In Frankreich und auch in anderen Nationen gibt es diese „Zwischenebene“ gar nicht. In manchen Nationen (Spanien, UK, eingeschränkt Italien) gibt es Zwischenebenen, die über eine gewisse Autonomie im Sinne von Selbstverwaltung, aber nicht über politische Souveränität verfügen. Auf Ebene der EU kann von einer Gleichheit bei den Parlamentswahlen keine Rede sein. Hier sind kleinere Nationen sehr stark überrepräsentiert; es gibt weder eine Stimmengleichheit für alle Bürger noch eine Stimmengleichheit für alle Nationen.
Die Subsidiarität berührt alle Ebenen von der Gemeinde bis zur Internationalität. Hier geht es darum, dass so viel wie möglich auf „unteren“ Ebenen entschieden wird und Entscheidungsbefugnisse nur für übergeordnete Themen nach „oben“ abgegeben werden. Dieses demokratische Grundprinzip ist im Detail zwar schwierig zu definieren, denn welches kleine Thema hat nicht auch irgendwie übergeordnete Wirkung und welches große Thema wirkt nicht auch irgendwie ins Kleine hinein? Dennoch muss der Gedanke der Subsidiarität bei allen Regelungen als Leitmotiv präsent bleiben.
Gemeindeautonomie ist vor allem in der Schweiz, in etwas anderer Form auch in Dänemark weit entwickelt. Die Autonomie von Regionen, Kantonen, Bundesländern ist in den verschiedenen Nationen sehr unterschiedlich geregelt, soweit überhaupt existent: das hängt oft auch von historischen Traditionen und Machtverhältnissen ab. Relativ weit verbreitet sind legislative Zweikammersysteme mit einer Kammer für eine Bundesebene und einer Kammer für die mehr oder weniger autonomen nächst unteren Ebenen. Welche Qualität das Subsidiaritätsprinzip tatsächlich hat, hängt davon ab, welche Themen überhaupt auf die höheren Ebenen delegiert sind und welches Abstimmungsgewicht welche Kammer hat. In Deutschland ist der Föderalismus durch einen grundgesetzlichen Ewigkeitswert verankert und die Gesetzgebung ist für den Bund eingeschränkt definiert.
Brisant ist das Thema Subsidiarität bei supranationaler Souveränitätsabgabe, konkret hier und heute bei der Europäischen Union. Die Mitgliedsstaaten haben sich hier einem System angeschlossen, welches auch bei sympathischer Betrachtung kaum als Realisierung demokratischer Prinzipien bezeichnet werden kann. Ein Parlament wird mit extrem ungleichen Stimmengewichten und mit unterschiedlichen Wahlsystemen gewählt; es kann zwar Gesetze verabschieden, aber nicht initiieren. Als faktische Legislative fungiert eine Kommission. Sie besteht aus je einem Vertreter eines Mitgliedlandes, der/die von deren Regierungen geschickt wird. Die fachliche Zuständigkeit, über welche Themen die EU legislative Kompetenz hat oder über welche nicht, ist keineswegs deutlich subsidiär geregelt. Kurz: Gleichheit, Gewaltenteilung und Subsidiarität waren kaum Kriterien bei der Vertragsgestaltung. Eine „Verfassung“ existiert nicht, bzw. nur in Form von Staatsverträgen und ein Staatsvolk hat sich nicht konstituiert. Im Sinne demokratischer Organisation und Legitimierung wäre hier also einiges zu tun.
Zum Thema Entscheidungskompetenz gehört natürlich auch die hier nicht weiter untersuchte Frage, wieweit politische Institutionen generell in das Privatleben der Bürger eingreifen dürfen. Das ist die Frage nach der Freiheit des Einzelnen. Es ist eine entscheidende Frage nach dem Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, die vor allem die Gestaltung der Grundrechte berührt.
Es geht dabei aber auch um Folgendes: Abgeordnete in den Parlamenten haben mehr oder weniger klar definierte Kompetenzbereiche für die Regelung öffentlicher Angelegenheiten. In einigen Nationen gibt es außerdem direkte Abstimmungsmöglichkeiten für die Bürgerschaft, die sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Das betrifft die Quoren für die Zulassung einer Volksabstimmung und ggf. auch Quoren für die Gültigkeit eines Abstimmungsergebnisses. Mancherorts haben positive Abstimmungsergebnisse nur empfehlenden Charakter für die Legislative, andernorts verpflichtenden.
Am weitesten geht die Schweiz, die nach Zulassung einer Abstimmung in den meisten Fällen nur noch eine Mehrheit der Abstimmenden, aber kein Quorum für die Gesamtheit der Stimmbürger mehr verlangt. Vor allem ist hier aber auch die direkte Kompetenz der abstimmenden Bürger für haushaltsrelevante Fragen erlaubt, was in den anderen Nationen bei Volksabstimmungen ausdrücklich ausgeschlossen ist. Mit der Erfahrung aus der Schweizer Geschichte darf man fragen, warum direkte Bürgerentscheide nicht über alles das erlaubt sein dürften, wozu auch die legislativen oder exekutiven Volksvertreter entscheiden dürfen. Warum nicht? Sind gewählte Abgeordnete, die oft nicht einmal die Texte lesen oder verstehen, die sie von ihren Fraktionsvorsitzenden vorgelegt bekommen, so viel kompetenter als die Bürger, die sich intensiver mit einem Thema beschäftigt haben und darüber entscheiden wollen?
Abschließend muss auch das Thema Krieg und Frieden angesprochen werden, denn es betrifft schließlich die Bürgerschaft insgesamt sowie jeden einzelnen Bürger existenziell. Die Entscheidung über Militäreinsätze und Waffenlieferungen, die in den letzten Jahrzehnten wie selbstverständlich im Rahmen der Außenpolitik verschiedener demokratischer Staaten getroffen wurden, liegt in den meisten Fällen bei der Exekutive, in manchen Fällen, z.B. in Deutschland, auch bei der gewählten Legislative. Man darf aber fragen, warum die Frage nach Militäreinsätzen im Ausland – also außer im Fall von plötzlich erforderlicher eigener Landesverteidigung – nicht ebenfalls vom Volk als Hauptbetroffenem direkt beantwortet werden muss. Sofern für den Fall einer nicht unmittelbaren Landesverteidigung die Antwort JA zu Waffeneinsätzen denn überhaupt in Betracht kommen darf…